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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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verstehen an ›Zischt ab‹?«
    »He, ich bin nicht wegen eures Falles hier. Wir ermitteln wegen dieser Schießerei im Schnapsladen.«
    »Ach ja? Wirklich wahr? Und was hattet ihr dann gestern in Allwines Wohnung zu suchen – Anhaltspunkte für die Schießerei im Schnapsladen?«
    Frye stellte sich unschuldig. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. O’Connor, Sie sind so verkrampft wie die Gedärme eines Golfballs. Besorgen Sie sich einen Mann und sehen Sie zu, dass Sie einen Teil dieser Spannung abbauen.«
    Sie hätte ihn am liebsten versehentlich erschossen.
    Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Michael: »Eine Pistole kann immer versehentlich losgehen, aber du würdest erklären müssen, wieso du sie überhaupt erst gezogen hast.«

45
    Erika verbrachte die Nacht und den Vormittag behaglich in ihrem Morgenmantel auf einem Ohrensessel zusammengerollt in der ausschließlichen Gesellschaft von Büchern und nahm sogar ihr Frühstück in der Bibliothek ein.
    Wenn sie zum Vergnügen las und genüsslich bei der Prosa verweilte, bewältigte sie immer noch hundert Seiten in der
Stunde. Schließlich war sie eine Angehörige der Alphaklasse der Neuen Rasse und äußerst sprachbegabt.
    Sie las Eine Geschichte aus zwei Städten von Charles Dickens, und als sie das Buch ausgelesen hatte, tat sie etwas, was sie in den Wochen ihres Lebens bisher noch nie getan hatte. Sie weinte.
    Die Geschichte drehte sich unter anderem um die Macht der Liebe, den Edelmut der Selbstaufopferung und die Gräuel der Revolution im Namen politischer Ideologien.
    Erika begriff das Konzept der Liebe und fand es reizvoll, aber sie wusste nicht, ob sie so etwas jemals fühlen würde. Die Neue Rasse war darauf angelegt, die Vernunft hoch zu schätzen, Gefühle zu scheuen und Aberglauben abzulehnen.
    Sie hatte Victor sagen hören, die Liebe sei ein Aberglaube. Er entstammte der Alten Rasse, doch er hatte sich selbst zu einem der Neuen gemacht. Er behauptete, vollkommene geistige Klarheit sei ein weitaus größeres Vergnügen als bloße Innigkeit.
    Dennoch fand Erika das Konzept der Liebe verlockend und sehnte sich danach, diese Erfahrung zu machen.
    Der Umstand, dass sie zu Tränen fähig war, gab ihr Hoffnung. Ihr eingebauter Hang zur Vernunft auf Kosten des Gefühls hatte sie nicht davon abgehalten, sich mit der tragischen Figur des Anwalts zu identifizieren, der am Ende des Romans anstelle eines anderen Mannes zur Guillotine geführt wird.
    Der Anwalt hatte sich geopfert, um zu gewährleisten, dass die Frau, die er liebte, mit dem Mann, den sie liebte, glücklich werden würde. Dieser Mann war derjenige, dessen Namen der Anwalt angenommen hatte und an dessen Stelle er hingerichtet worden war.
    Selbst wenn Erika fähig wäre, zu lieben, wäre sie nicht fähig, sich selbst aufzuopfern, denn das verstieße gegen die eingebaute Selbstmordsperre, mit der jeder Angehörige der
Neuen Rasse versehen war. Daher flößte ihr diese Fähigkeit gewöhnlicher Sterblicher gewaltigen Respekt ein.
    Was die Revolution betraf … Eines Tages, wenn Victor den Befehl gab, würde die Neue Rasse, die im Verborgenen inmitten der Angehörigen der Alten Rasse lebte, unerhörte Gräuel, wie sie in der Geschichte noch nie da gewesen waren, über die Menschheit bringen.
    Sie war nicht dazu bestimmt, in diesem Krieg an der vordersten Front zu dienen, sondern nur dazu, Victor eine Ehefrau zu sein. Wenn die Zeit kam, würde sie vermutlich so skrupellos sein, wie ihr Schöpfer sie gemacht hatte.
    Wenn sie wüssten, was sie war, würden gewöhnliche Menschen sie als ein Monster ansehen. Die Angehörigen der Alten Rasse waren nicht ihre Brüder und Schwestern.
    Und doch bewunderte sie vieles an ihnen und beneidete sie in Wahrheit sogar um einige ihrer Gaben.
    Sie hatte den Verdacht, es wäre ein Fehler, Victor wissen zu lassen, dass ihr Interesse an den Künsten der Alten Rasse in Bewunderung umgeschlagen war. Seiner Ansicht nach verdiente diese Rasse nichts anderes als Verachtung. Falls sie diese Verachtung nicht aufbieten konnte, ließ sich Erika fünf jederzeit aktivieren.
    Als die Mittagszeit nahte und sie sicher sein konnte, dass die Hausangestellten das eheliche Schlafzimmer geputzt und das Bett gemacht hatten, begab sie sich nach oben.
    Falls die Dienstmädchen auf etwas Ungewöhnliches oder zumindest Sonderbares im Schlafzimmer gestoßen wären, falls sie auch nur Spuren von Rattendreck entdeckt hätten, dann hätte man ihr das gesagt. Was auch immer sich in der vergangenen

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