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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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gestatten, ganz, ganz langsam wieder zur Ruhe zu kommen.
    Der Zweck der Behandlung ist ihm nicht klar, aber er ist sicher, dass er nicht mehr viele dieser Behandlungen aushält. Früher oder später wird er einen schweren Gehirnschlag erleiden; das Versagen eines inneren Gefäßes wird Zerstörungen hervorrufen, wie sie nicht einmal eine Kugel, die auf seinen gepanzerten Schädel abgeschossen wird, so leicht zustande brächte.
    Falls ihm ein zerebrales Aneurysma nicht demnächst den Rest gibt, dann wird er die Entwicklungsstörung, die sich Autismus nennt, bestimmt gegen eine echte Psychose eintauschen. Er wird im Wahnsinn den Frieden suchen, den ihm bloßer Autismus nicht immer gewähren kann.
    In seinen trostlosesten Momenten fragt sich Randal, ob das mit dem Drehgestell überhaupt eine Behandlung ist, wie Vater wiederholt behauptet hat, oder ob es nicht vielleicht als Folter gedacht sein könnte.
    Da er kein Geschöpf Gottes und jedem Glauben entfremdet ist, könnte er einem blasphemischen Gedanken gar nicht näher kommen als dann, wenn er denkt: Vater ist viel mehr ein grausamer als ein wohlwollender Schöpfer, Vater selbst ist psychotisch und sein gesamtes Vorhaben ein Wahnsinnsunternehmen.
    Ganz gleich, ob Vater aufrichtig oder verlogen ist, ob sein Projekt dem Genie oder dem Irrsinn entspringt – Randal sechs weiß, dass er persönlich im Hände der Barmherzigkeit niemals sein Glück finden wird.

    Das Glück liegt viele Straßen weit entfernt, knapp drei Meilen von hier, im Hause einer gewissen Carson O’Connor. In diesem Haus liegt ein Geheimnis, das geraubt werden muss, falls es ihm nicht freiwillig überlassen wird: die Ursache für Arnie O’Connors Lächeln, der Grund für den Moment der Freude, der auf dem Zeitungsfoto eingefangen ist, ganz gleich, wie kurz er gewesen sein mag.
    So bald wie möglich muss er sehen, wie er zu dem kleinen O’Connor kommt, nämlich noch bevor ihn das zerebrale Aneurysma umbringt oder ihn das Drehgestell in den Wahnsinn schleudert.
    Randal ist nicht in seinem Zimmer eingeschlossen. Sein Autismus, der zeitweilig noch weitere Komplikationen durch die Agoraphobie erfährt, hält ihn auf dieser Seite der Schwelle fest, in sichererem Gewahrsam als hinter Schloss und Riegel.
    Vater ermutigt ihn häufig, das Gebäude von einem Ende bis zum anderen zu erkunden oder sogar die Stockwerke über und unter diesem. Waghalsigkeit wird ein erster Beweis dafür sein, dass die Behandlungen anschlagen.
    Ganz gleich, wohin er sich innerhalb des Gebäudes begibt, er kann es nicht verlassen, denn die Türen nach draußen sind an eine Alarmanlage angeschlossen. Er würde erwischt werden, bevor er das Gelände verlassen hätte … und könnte dafür mit einer sehr langen Behandlung im Drehgestell bestraft werden.
    Wenn er gelegentlich sein Zimmer verlässt und durch die Flure schlendert, wagt er sich ohnehin nie weit hinaus, nur einen kleinen Bruchteil der Strecke, die Vater ihn gern zurücklegen sehen würde. Manchmal konfrontiert ihn schon eine Entfernung von zehn Metern mit einer solchen Reizüberflutung durch Anblicke und Geräusche, dass er zitternd auf die Knie sinkt.
    Dennoch sieht er in seiner Isolation. Er hört. Er lernt. Er
weiß von einem Weg, der aus der Barmherzigkeit hinausführt und keine Alarmanlage auslöst.
    Es kann gut sein, dass er nicht genug Willenskraft besitzt, um diese spezielle Tür zu erreichen, ganz zu schweigen davon, es mit der hektischeren Welt aufzunehmen, die dahinter liegt. Aber seine Verzagtheit ist in der letzten Zeit in Verzweiflung ausgeartet, und der Mut der Verzweiflung könnte ihn unter Umständen zu verwegenen Taten antreiben.
    Er wird in der kommenden Nacht aufbrechen, in wenig mehr als zwölf Stunden.

42
    Die stille Empfangshalle wies anstelle der herkömmlichen Kranzleisten einen barocken Fries auf: dreidimensional herausgearbeitetes Akanthuslaub wurde in Abständen von einem halben Meter und in den Ecken abwechselnd von Engelsköpfen und grotesken Fratzen oder vielleicht auch hämischen Dämonen durchbrochen.
    In den waldgrünen Marmorboden war eine ringförmige Einlegearbeit von dreißig Zentimetern Durchmesser eingefügt, die in helleren Marmortönen mythologische Wesen darstellte – Götter, Göttinnen und Halbgötter –, die unaufhörlich Jagd aufeinander machten. Michael brauchte gar nicht erst auf die Knie zu gehen, um zu erkennen, dass sich ein Teil der Verfolgung um eindeutig sexuelle Liebkosungen drehte.
    Nur in New Orleans wäre eines

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