Das Geständnis der Amme
fein, dass sie auf ihren Lippen zergingen. Obgleich ihr Hunger groß und das Mahl köstlich war, fiel es ihr schwer zu essen. Nicht mehr unerträgliche Schmerzen hielten ihren Körper gefangen, aber Müdigkeit. Sie konnte kaum den hölzernen Löffel zum Mund führen, so schwer war ihr der Arm.
»Ihr solltet ihr vielleicht besser einen Trank aus Bohnen, Reismehl und Milch geben«, hörte sie eine fremde Stimme zu der Gräfin sagen. »Eine Amme darf keine scharf gewürzten oder sauren Speisen zu sich nehmen, schon gar keine Zwiebeln, keinen Kohl und Lauch.«
»Sie muss doch wieder zu Kräften kommen«, antwortete Alpais sanft.
Johanna bezog das Gerede nicht auf sich. Als sie die Hälfte der Schüssel geleert hatte, gaben ihre Lider nach, und als sie die Augen wieder öffnete, saß sie nicht mehr in der Küche, sondern lag in einem Bett.
Verwirrt strich sie über die feinen Decken und Federkissen.
»Es ist alles gut«, drang Alpais’ Stimme zu ihr. »Du kannst dich ausruhen.«
Sie spürte ihren Blick. Er war freundlich, als kümmerte sie sich gern um sie, und zugleich ausdruckslos, als dränge sie kein echtes Mitleid dazu, sondern die christliche Verpflichtung, derzufolge man einen Flüchtigen eben aufzunehmen hatte.
»Ich …«, stammelte Johanna, »ich …«
»Wir haben deine Wunden gereinigt und deine Füße verbunden. Und wir haben die verkohlten Strähnen deiner Haare geschoren.«
Johanna war zu schwach, um ihre Hand zu heben und den Kopf zu betasten.
»Meine Brüste«, stammelte sie, »meine Brüste schmerzen.«
Sie spürte warme Flüssigkeit, die von den Warzen auf ihren Bauch lief. Es fiel ihr ein, dass es noch nicht lange her war, seitdem sie geboren hatte. Ihr Kind war klein, unendlich klein und schutzlos, kaum zwei Wochen alt, wo war ihr Kind?
Da hörte sie plötzlich das quäkende Wimmern eines Säuglings, roch dessen milchigen Duft, spürte einen feinen, leichten, warmen Körper, der an ihren gehalten wurde. Er war in Tücher gehüllt und mit Bändern umwickelt, damit er gerade liegen und wachsen konnte.
Johanna versuchte sich zu erheben. »Das ist nicht mein Kind …«, murmelte sie. Der Säugling war rotgesichtig, die Augen zu Schlitzen zusammengepresst.
»Das ist Balduin, Audacers Sohn«, erklärte Alpais. »Der Name des Kindes mag dir ungewöhnlich erscheinen, weil er nicht mit den Silben von dem seines Vaters beginnt, aber Audacer … wollte das nicht. Die Mutter Hildegund ist bei der Geburt gestorben, und Audacer hat noch keine Amme für ihn gefunden. Und da der Graf, mein Gatte, Balduins Pate ist, sind wir dazu verpflichtet, uns seiner anzunehmen.« Alpais’ Stimme klang plötzlich gepresst, als würde sie nur mit Mühe ein Schluchzen unterdrücken.
Unendlich groß war die Erleichterung, als der grässliche Druck in Johannas Brüsten nachließ, sobald das Kind schmatzend daran saugte. Doch zugleich überkam sie ein Weh, das übervolle Brüste und blutende Füße allein niemals ausgelöst hätten. Ihre Augen schienen zu zerrinnen, so viele Tränen stürzten gleichzeitig aus ihnen hervor.
»Nicht!«, drang Alpais’ Mahnung zu ihr. »Du darfst nicht weinen! Die Milch wird sauer, wenn du weinst!«
»Ich kann nicht anders.«
»Beruhige dich. Du musst ganz ruhig sein. Du darfst schlafen, essen und trinken, wann immer du willst, damit du genügend Milch hast. Ist dein Kind einSohn gewesen? Eine Amme, die einen Sohn geboren hat, ist besser als eine, die einer Tochter das Leben geschenkt hat. Du darfst dich nicht erregen, dein Charakter färbt auf das Kind ab, und du bist doch jetzt seine
Nutrix.
«
Johanna wollte sich wehren, sie bäumte sich auf, um das Kind wegzuschieben. Doch dabei stießen ihre Beine an den Wärmestein, der in ihr Bett gelegt worden war. Sie sank auf die Federkissen zurück und ließ das Kind weiternuckeln.
Noch nie hat man mich so umsorgt, dachte sie, und ihre Tränen versiegten. Noch nie habe ich in einem solch edlen Bett geschlafen.
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III. Kapitel
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Zum ersten Mal nahm Johanna wahr, wie die anderen Frauen über sie sprachen. Das Gesinde hatte zwar schon früher über sie getuschelt – einige Monate waren vergangen, seitdem sie als Amme des kleinen Balduin in Laon lebte –, aber es war ebenso an ihr abgeprallt wie die vielen Fragen, mit denen der Graf sie bedrängte, und Alpais’ Freundlichkeit, die nicht über ihre grundsätzliche Steifheit hinwegzutäuschen vermochte. All das, selbst das Nuckeln des Kindes an ihren übervollen, trotz der
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