Das Geständnis der Amme
Schmerzen bis in ihre Leibesmitte. Als sie stehen blieb und sich vorbeugte, um besser Atem holen zu können, gewahrte sie die Spur, die sie auf dem Weg hinterlassen hatte.
Kurz dachte sie, dass jener rote Saft unmöglich von ihr stammen könnte, dass sie – nach allem, was sie erlebt hatte – nicht lebendig genug war, um zu bluten. Doch dann sah sie an sich hinab, wendete zuerst den einen Fuß, dann den anderen, und bemerkte die klaffenden Wunden.
Ihre Zunge fühlte sich belegt an, ihr Atem roch säuerlich. Der Schmerz schien sich in ihren gesamten Körper auszustrecken: bis in die Spitzen ihrer Brüste, die während des Laufens unruhig auf ihrem Körper geschlackert hatten, und bis zu ihrem Magen, der sich anfühlte, als hätte er sich auf die Größe eines Kieselsteins zusammengezogen. Ihr Durst war unerträglich. Keuchend lief sie weiter und spürte einen neuerlichen Schmerz, diesmal, als ob ihr ein Messer zwischen die Beine schnitt. Sie fühlte, wie warme Flüssigkeit über die Schenkel rann. Hatte sich ihre Blase entleert? Oder blutete sie auch dort?
Sie ordnete alles dem unerträglichen Durst unter und irrte auf der Suche nach einer Quelle durch den finsteren, raschelnden Wald. Eichen, Buchen, Ahornbäume und Birken reichten sich gegenseitig die Hände und tanzten, während sie an den Stämmen vorbeihuschte. Manchmal gluckerten ihre Schritte, vielleicht, weiles geregnet hatte und der Waldboden noch nass war, vielleicht, weil sie von Sümpfen und Mooren umgeben war. Letztere waren gefährlich, man konnte darin versinken und elendiglich ertrinken – diese Warnungen hatte sie ihr ganzes Leben lang gehört. Doch ihre Angst schien aufgebraucht. Nur wie von ferne hallten die Worte der Priester in ihren Ohren, die den Wald einen unheilvollen Ort genannt hatten, eine Stätte der Geister und Trolle, der Bäume, die die Heiden verehrten und denen darum teuflische Kräfte innewohnten, der verzauberten Quellen, die giftiges Wasser sprudeln ließen. Wer davon trinke, der stürbe.
Der Gedanke vergrößerte nur ihren Durst. Ihre Zunge fühlte sich an, als füllte sie den ganzen Mund aus, raubte noch mehr von dem Platz, den sie doch brauchte, um Atem zu schöpfen.
Dann fand sie endlich eine tiefe Pfütze, trüb und braun. Statt sich bloß darüberzubeugen, mit den Händen von dem Wasser zu schöpfen und dieses an die vertrockneten Lippen zu führen, ließ sie einfach das ganze Gesicht in das kühle Nass sinken. Ihre Welt wurde schwarz und lautlos, als auch ihre Ohren vom Wasser umgeben waren. Die Geräusche des Waldes verstummten: das Stöhnen des Geästs, das Rascheln der Blätter, das traurige Rufen der Vögel. Sie öffnete den Mund, das Wasser lief einfach hinein, sodass sie nur mehr schlucken musste. Es schmeckte faulig nach Schlamm, und als sie endlich wieder hochfuhr, vermeinte sie, nicht getrunken, sondern sich mit feuchter Erde genährt zu haben. Kleine Klümpchen verfingen sich zwischen Gaumen und Zunge und brachten sie zum Würgen. Als sie sich mühsam aufrichtete, fiel diesiges Licht auf die Pfütze. Es reichte nicht aus, um sie zu klären, aber die Oberfläche, eben noch lehmig, schien sich zu verhärten und reflektierte ihr unscharfes Bild. Sie sah nicht viel, nur Umrisse, in denen sie nichts Vertrautes erkennen konnte. Mit einer heftigen Bewegung fuhr sie herum, um sich zu vergewissern, dass es die eigene Gestalt, nicht die eines Fremden war, die sich über die Pfütze beugte. Doch sie war sich selbst fremd geworden. Sogar die Schmerzen, die ihren Kopf und ihren Leib zu zerreißen drohten, schienen nicht zu ihr zu gehören.
Sie starrte wieder auf ihr Spiegelbild. Sie wusste ihren eigenen Namen nicht mehr.
Das braune Wasser der Pfütze verkrustete auf ihrer Haut, doch sie wischte es nicht ab. Dunkel, fast schwarz wurde auch das Blut an ihren Füßen. Sie war neben der Pfütze sitzen geblieben, schließlich eingeschlafen, und als sie erwachte, war es tiefe Nacht. Regen prasselte auf die Blätter der Bäume, aber sie spürte, vom Dach der vielen Zweige und äste beschirmt, nur einzelne Tropfen; es waren zu wenige, um sie reinzuwaschen. Klamm stieg es vom Waldboden hoch. Als hinter dem Blätterdach endlich der Morgen dämmerte und dünne Lichtfäden auf sie fielen, waren ihre sämtlichen Glieder steif. ächzend erhob sie sich. Die Spitzen ihrer Brüste schmerzten noch immer, ebenso ihre Scham, aber zumindest der Bauch knurrte wie der eines gesunden Menschen, der lange nichts gegessen hat.
Mit dem
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