Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
Finger sickerten. Hector unterdrückte einen Aufschrei, bestürzt über so viel Brutalität. Bovrik streckte Hector die geöffnete Hand entgegen.
»Mach das weg«, sagte er.
Hector schluckte schwer. Vorsichtig fasste er das tote Insekt beim Flügel, zog es von Bovriks Hand und legte es auf den Tisch.
Du Ungeheuer!, dachte Hector, und sein Widerwille gegen diesen falschen Baron steigerte sich noch einmal – er hatte nicht geahnt, dass so viel unerbittlicher Hass in ihm steckte. Sein Herz war wie ausgepresst und trotzdem ließ er sich nichts anmerken.
»Ich habe keine Zeit för weitere Fähler, Junge – ich moss mich om sähr viel wichtigere Dinge kömmern. Vergiss nicht, dass ich dich auf den Straßen von Orbs Omida aufgeläsen habe. Ich kann dich jäderzeit wieder dorthin befördern.«
»Ich dich auch«, flüsterte Hector, als Bovrik auf dem Absatz kehrtgemacht hatte und davoneilte. »Sogar Schlimmeres.«
Kapitel 26
Brief an Polly
Withypitts Hall
Liebe Polly,
ich weiß kaum, wo ich anfangen soll. Bis heute Abend bin ich nicht losgekommen von diesem Ekelgefühl, das mich überfiel, als ich zusehen musste, wie Bovrik den missgebildeten Schmetterling in der Hand zerdrückte. Ich habe auch immer wieder daran gedacht, wie sehr ich benutzt worden bin und mit meinem Rätsel fast daran beteiligt gewesen wäre, einen Menschen zu verurteilen, vielleicht sogar zum Tod zu verurteilen. (Doch das liegt an Lady Mandibles Einfluss: In ihrer Gegenwart werden Männer schwach – und dabei bin ich ja noch nicht mal einer!)
Ich muss Dich aber gleich warnen: Falls Du glaubst, Gerulphus und seine Blutegel wären das Höchste an Widerwärtigkeit und Lady Mandibles Gemälde mit Menschenblut nicht weniger abscheulich, dann mach lieber die Augen zu und lies nicht weiter.
Der reine Horror steht Dir bevor. Ich bin gerade Zeuge einer ungeheuerlichen Darbietung geworden!
Nachdem Bovrik das Incunabulorum so hastig verlassen hatte, folgte ich ihm. Ich konnte mich nicht gegen den Gedanken wehren, dass es sich lohnen könnte, jemanden, der es so eilig hat, zu beobachten.
Diesmal war ich fest entschlossen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Es war schon spät, und da nicht mehr viele der Bediensteten unterwegs waren, konnte ich ihm unentdeckt folgen. Endlich, nach vielen Biegungen und Abzweigungen, kamen wir in einen kleinen, schmalen Gang. Ich dachte, es ginge nicht mehr weiter, weil am Ende ein Gobelin an der Wand hing. Aber Bovrik zog ihn beiseite, eine Tür wurde sichtbar und er ging schnell hindurch. Ich schlich hin, kniete mich vor das Schlüsselloch und linste hindurch.
Wie sehr wünschte ich jetzt, Polly, ich hätte es nicht getan, denn manche Erinnerungen lassen sich vielleicht nie mehr auslöschen!
Lady Mandible saß in einem dunklen Sessel, Bovrik war wie immer an ihrer Seite. Eine dritte Person, ein Mann, stand vor ihnen. Gemeinsam sah das abscheuliche Paar ihm zu – genau wie ich in meinem Versteck –, sprachlos, vor Ekel hingerissen. Die ganze Episode dauerte um die zwanzig Minuten, vielleicht etwas länger, dann war es überstanden. Und erfolgreich überstanden, wenn man das so sagen kann. Der Mann, ein Franzose, glaube ich, stand wie auf einer Bühne mitten im Zimmer und hielt mit seinen langen, dünnen Fingern ein Tier bei den Hinterbeinen – ganz so, wie man eine Hähnchenkeule hält. Er biss hinein, und zwar kein bisschen zögernd, wie man es erwarten sollte, nein, er sah aus, als schmecke es ihm sogar. In seinen Mundwinkeln blieben zitternd kleine Fellbüschel und Härchen hängen, bis er sie mit der Zungenspitze in den Mund beförderte. Die kleineren Knochen zerknackte er zwischen den Zähnen, die größeren nagte er sauber ab und legte sie weg. Dabei wirkte sein Gesichtsausdruck die ganze Zeit hoch konzentriert. Blut habe ich nicht gesehen. Das Tier muss schon tot gewesen sein. Ich könnte mir denken, dass man es irgendwie zubereitet hatte, um es genießbarer zu machen. Wahrscheinlich eher gekocht als gebraten. Vor dem Braten wäre nämlich das Fell abgesengt worden, wie man es zum Beispiel beim Borstenrückenschwein macht, ehe man es an den Bratspieß hängt. Mir fiel auf, wie distanziert ich plötzlich solche Überlegungen anstellte.
Den Kopf aß der Mann nicht mit, und ich war erleichtert darüber, denn die Vorstellung, die samtenen dreieckigen Ohren mit den weißen Spitzen im Mund des Mannes verschwinden zu sehen, schien mir unerträglich. Dann, nachdem er dieses grausige Mahl beendet hatte,
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