Das Gift des Boesen
vielleicht doch noch helfen kann. Sollte aber auch dieser Versuch fehlschlagen, weiß ich mir keinen Rat mehr. Dann mag es sein, daß unser beider Weg hier endet, wo ich einst geboren wurde.
*
Mitternacht. Philippe ist unterwegs, und als ich Schritte auf der Treppe höre, denke ich zunächst, er sei es, der zurückkehrt.
Ich habe den Riegel in die Nabe geschoben und mit dem Diener einen bestimmten Rhythmus verabredet, wie er mit dem Knöchel gegen das Türblatt klopfen soll.
Nichts dergleichen geschieht. Die Klinke wird einfach niedergedrückt. Stirnrunzelnd erhebe ich mich von meinem einsamen Platz im Bett neben Landru. Er war mir nie ferner trotz vermeintlicher Nähe .
Eine gut zur Hälfte abgebrannte Kerze streut Licht. Hinter den kleinen Fenstern der Stube gemahnt mich die fast runde Scheibe des Mondes der kommenden Nacht, und wenn ich in mich lausche, glaube ich bereits die ersten Anzeichen der Spannung zu spüren; der ganz besonderen Spannung, die keine andere Leidenschaft zu ersetzen vermag - und doch gibt es Zeiten, da ich den Fluch in mir verabscheue. In denen ich nach Wegen sinne, ihm zu entkommen.
Ich glaube nicht, daß ich dies je vermag. Es ist wie eine Droge, deren Schädlichkeit man kennt - aber auch ihre beglückenden Facetten. Das macht es so schwer, so unendlich schwer, dem Drang, der in mir wühlt, zu entsagen .
»Wer ist da?« rufe ich halblaut in Richtung der Tür.
Niemand antwortet. Erneut wird versucht, die Klinke niederzudrücken und auf diese Weise Einlaß zu finden. Aber der Riegel ist stabil .
Der Riegel bricht!
Der dumpfe Knall hallt noch in meinen Ohren, als die Tür bereits aufschwingt und ich restlos die Fassung verliere.
Noch bevor ich Pairal erkenne, sehe ich, was er mit seinen beiden Händen vor die Brust gepreßt hält - und was in geradezu abseitigem Glanz erstrahlt.
Der Lilienkelch!
Torkelnd passiert er die Türschwelle. Die Ärmel seiner Uniformjacke flattern als Fetzen im Luftzug. Der Stoff ist dunkel gefärbt, und die Arme des Eintretenden ebenso wie Mund und Kinn und Hals .
blutverschmiert!
Ich stelle mich ihm in den Weg, als er auf das Bett und Landru zu wankt, doch eine seiner Hände läßt den Kelch los, und der Hauptmann wischt mich mit einem brutalen Stoß beiseite.
Ich werde bis zur Wand der Stube getrieben, und als ich endlich herumwirbele, hat Pairal das Bett bereits erreicht.
Gerade als ich mich auf ihn werfen will, bemerke ich, wie er sacht, beinahe zärtlich, den Kelch zurück in die Hand dessen legt, den er bestohlen hat.
Er bezähme meinen Beschützerinstinkt.
Pairal richtet sich steif wieder zur vollen Größe auf und sagt: »Ich habe mein Leben und meine Seele verwirkt. Ich werde gehen und mich in der Tet ersäufen ...«
Mit diesen Worten wendet er sich der Tür zu, die er mit übermenschlicher Kraft aufgebrochen hat.
Bevor er in das gähnende Dunkel des Stiegenhauses verschwindet, sehe ich, daß seine beiden Unterarme entlang der Pulsadern aufgeschnitten sind, aber ich begreife immer noch nicht, was geschehen ist.
Ich eile ihm nach und erreiche ihn, als er den Fuß auf die erste Treppenstufe setzt. »Was ist passiert? Warum bringst du den Kelch zurück?«
Zuerst sieht es nicht aus, als wollte er sich aufhalten lassen. Doch dann geht ein Ruck durch ihn hindurch, als hätte jemand an einem unsichtbaren Zügel gezogen. Er erstarrt und leiert: »Es wurde mir befohlen.«
»Von wem?«
»Ich ... weiß nicht.«
»Was ist mit dir passiert? Wer hat dir die Arme zerschnitten?«
»Ich selbst.«
»Du selbst? Und warum?«
»Es wurde mir befohlen.«
Ich ahne die Wahrheit. »Durch ... den Kelch? Hat er es dir befohlen?«
Pairal zögert. Dann nickt er hölzern.
»Und dann?«
»Ich mußte mein Rasiermesser nehmen und meine Adern öffnen und mein Blut im Kelch auffangen. Dann trank ich es. Aber .«
»Aber?«
»Mir wurde schwarz vor Augen. Und als ich wieder sehen konnte, hatte mein Herz aufgehört zu schlagen. Der Kelch lag neben mir am Boden, sein Inhalt war verschüttet. Ich hob ihn auf und kam hierher.
- Darf ich jetzt gehen?«
Obwohl ich selbst mehr als ein Leben ausgelöscht habe, macht mich die beiläufige Art, wie er über den Hergang seines Todes spricht, schaudern.
»Du kannst dich nicht ersäufen, du bist schon tot!« sage ich.
»Dem Fluß ist es egal, und bis die Leut' mich finden ...«
Aus den Höhlen seiner Augen starrt mich das pure Weiß an. Eine Pupille ist nicht mehr erkennbar. Die Augäpfel sind völlig verdreht.
Ich
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