Das Gift des Boesen
in diesem Maß schwächen könnte . nein, das hätte ich nicht im Traum ins Kalkül gezogen . Am meisten erschüt-tert mich aber, daß . auch der Kelch kein Mittel dagegen weiß .«
»Du bist sicher, daß du ihm vertrauen kannst?«
»Warum sollte er ... mich belügen?«
Ich weiß es nicht. Ich weiß, was das angeht, gewiß weniger als du! Aber im Gegensatz zu dir halte ich den Kelch nicht für über jeden Zweifel erhaben. Er ist mehr als ein Ding. In ihm steckt eine Seele. Ein Verstand, so bizarr und fremdartig, daß mich friert, wenn ich nur daran denke, daß er auch auf meinen Seelengrund geblickt hat - damals, als ich das Geschenk des Lebens aus ihm trank ...
»Es nützt nichts, dieser Stadt ... den Rücken zu kehren«, sagt Landru, und sein Atem in den Sprechpausen ist jetzt schon lauter als seine Stimme. »Es wird uns . begleiten. Wir können nicht fliehen, aber vielleicht können wir . es finden und unschädlich machen . Du könntest es . vielleicht .«
Ich bin hin und her gerissen. Er redet, als wüßte er, was ihn ans Bett fesselt - und doch leugnet er, die Gründe zu kennen. Verschweigt er mir etwas? Aber warum sollte er?
Über all dem habe ich beinahe vergessen, was wir zum Anlaß nahmen, Perpignan einen Besuch abzustatten. Die in Mode gekommenen »Neuen Zeitungen« hatten uns Kunde von den Vorgängen in Perpignan gebracht.
In den illustrierten Berichten wurden die abstrusesten Theorien über die Hintergründe der Kindsleichendiebstähle verbreitet. Manche Verfasser glaubten, daß damit Schwarze Messen abgehalten würden. Andere vertraten die Auffassung, daß aus den toten Kindern jener Sud gekocht würde, aus dem Hexen ihre Salben herstellten, mit denen sie sich nach landläufiger Meinung einreiben mußten, bevor sie auf ihren Hexenbesen durch die Lüfte reiten konnten -und dergleichen Unsinn mehr .
Landru und ich vermuteten andere Verursacher. Während unserer Herreise hatte mein Geliebter nicht ausgeschlossen, daß ein Ghul, der unter dem Friedhof hauste, die Leichen gestohlen hatte. Warum sich ein solcher Aasfresser aber auf Kindsleichen beschränken und ihnen noch dazu von oben zu Leibe rücken sollte, statt unterirdisch, wie bei diesen Fledderern üblich, hatte auch Landru nicht zu erklären gewußt.
Wir waren entschlossen gewesen, die Hintergründe während unseres Aufenthalts aufzuklären. Aber der eigentliche Sinn und Zweck für unseren Abstecher nach Perpignan war dies nicht. Die wahren Gründe waren viel persönlicherer Natur. Und sie betreffen vorrangig mich, nicht Landru. Daß nun aber er in solchem Umfang unter meiner ganz privaten Neugier leiden soll, macht mir immens zu schaffen.
Ich schulde ihm, daß ich den Verursacher finde, und wenn er in dieser Stadt ist, dann wird mich nichts und niemand daran hindern, ihn zur Verantwortung zu ziehen!
Das Problem ist nur, daß ich mir nichts vorzustellen vermag, was einen Kelchhüter in derartige Bedrängnis bringen könnte . Dennoch verspreche ich meinem Geliebten, die Tage hier auszuharren, in denen mich der Mondenschein zu einer Fürstin der Nacht krönt -und in denen ich mir Kräfte, Sinne und Instinkte dienstbar machen kann wie sonst nie im Laufe eines Monats!
»Ich tue mein Bestes«, verabschiede ich mich am späten Abend aus der Dachkammer der Herberge - zum ersten Mal, seit wir in Perpi-gnan angekommen sind. »Aber erwarte nicht zuviel . Und du, Diener, pflege ihn gut, deinen Herrn - sonst werde ich dich eigenhändig dort in den Schrank verfrachten!«
Philippe nickt ehrerbietig, und ich begreife, daß er selbst den Tod pflichtschuldigst, ohne einen Hauch von Aufbegehren akzeptieren würde. Ein wenig hasse ich ihn für den Vorzug, daß nichts ihn wirklich mehr anfechten kann. Doch diese Anwandlung verraucht drei Schritte tief in der Nacht, in die ich aus der Herberge hinaus trete.
Eine Nacht, von der ich noch nicht ahne, daß es meine letzte wäre, wenn es ihm gefiele.
Ihm - dem ich erst noch begegnen werde.
*
Was für ein sonderbares Gefühl, Landru in der Pflegschaft Philippes zu wissen und hier allein durch die Straßen einer Stadt zu streifen, an die ich kaum mehr eine Erinnerung besitze. Ich war ein Kleinkind, als mein Vater mich bei der Hand nahm und mit mir fortging. Marseille war damals unsere erste und einzige längere Station. Lange wußte ich nicht, daß mein Vater ein Werwolf war, der gegen den Fluch in seinem Blut ankämpfte. Aber als ich es endlich wußte, fürchtete ich stets, daß es auch für mich kein Entrinnen
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