Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
soeben entschieden, dass ich am Anfang ein verdammtes Lied auf Deutsch singen soll.«
» Come Tu Mi Vuoi. Wie du mich wünschst«, sagte ich. » Pirandello.«
» Du kennst es?« Ein Lächeln zog über ihre Miene.
» Ich hab’s im letzten Jahr in italienischer Literatur gehabt.« Ich sagte nicht, dass ich es nicht ausstehen konnte.
» Ich dachte, du studierst Deutsch«, sagte sie.
» Ich mache alles Mögliche.«
» Dann bist du perfekt. Siehst du das nicht? Es ist Schicksal, dass ich dich gefunden habe. Zufall kann es nicht sein, oder? Du kannst mir helfen, ja?« Der Umschwung von der Heiterkeit zur Eindringlichkeit war beunruhigend, und instinktiv wich ich einen Schritt zurück, als sie meine Ellenbogen umfasste und meine verschränkten Arme in einer bizarren Pumpbewegung sanft auf und ab schüttelte. Aber zugleich fühlte ich mich geschmeichelt von ihrer Aufmerksamkeit und– mit der Unterwürfigkeit der Mittelklasse, die ich an mir verachtete, sowie sie mir bewusst wurde– hypnotisiert von ihrer Stimme. » Fantastisch. Wie wär’s jetzt gleich?« Ich dachte an den missmutigen Teenager, dem ich um fünf Nachhilfe in Französisch zu geben hatte. Der Gedanke an den Geruch von Socken und Schweiß und Sperma, der ihn umgab, war alles andere als verlockend. Er kam immer zu spät, sogar in sein eigenes Zimmer. Da würde es ihn nicht umbringen, wenn er ein paar Minuten auf mich wartete.
» Wir können jetzt anfangen, ja«, sagte ich.
» Ich bin Biba Capel«, sagte sie, und es gefiel mir, wie sie ihren Nachnamen aussprach: so, dass er sich auf » apple« reimte.
» Karen Clarke«, sagte ich und streckte die Hand aus. Ihre fühlte sich winzig an.
» Karen«, sagte sie, und zum ersten Mal liebte ich den Klang meines Namens auf den Lippen eines anderen Menschen. » Macht’s dir was aus, wenn wir dir Treppe nehmen? Ich kann Aufzüge nicht ausstehen. Ist eine von meinen Macken.« Sie stieß mit einem ihrer klobigen Schuhe die Doppeltür auf und ließ sie dann vor meiner Nase zurückschwingen. Bevor ich ihr folgte, nahm ich hastig einen Zettel mit der Ankündigung eines Semesterschlussballs vom Schwarzen Brett und pinnte ihn auf die Stelle, die sie beschrieben hatte. Rote Schleifen waren zu beiden Seiten des Papiers noch zu sehen, aber nur, wenn man danach suchte. Dann lief ich zur ihr auf den Treppenabsatz, wo sie den Hals reckte, um das Dach von Madame Tussaud’s zu sehen, während sie mit einer Hand eine Zigarette drehte. Sie leckte über den gummierten Rand des Papiers. » Das einzige Problem ist, dass ich eigentlich kein Geld habe, so direkt«, sagte sie. » Hilfst du mir trotzdem?« Sie lief die Treppe hinunter; ihre Sohlen klatschten auf jede zweite Stufe, und Tabakfasern wehten hinter ihr, als ich in ihrem Kielwasser hinunterschwebte.
Unsere spontane Übungsstunde fand im Charlie’s statt, in der Studentenbar, die versteckt im Keller des Colleges lag. Das an sich war schon etwas Neues. Bei meiner Ankunft im College, nur wenige Tage nach meinem siebzehnten Geburtstag, hatte ich einen Studentenausweis bekommen, der das Barpersonal darüber in Kenntnis setzte, dass es illegal war, mir Alkohol zu servieren. Ich glaube zwar nicht, dass irgendjemand mich nach diesem Ausweis gefragt hätte, aber die bloße Vorstellung, darauf angesprochen oder gar abgewiesen zu werden, hatte genügt, um mich im ersten Jahr von dieser Bar fernzuhalten, und danach war es eine Gewohnheit gewesen, nicht hinzugehen.
Drinnen war es dunkel. Marineblaue Veloursbänke säumten die Wände, und dazu passende Hocker waren am Boden festgeschraubt. Einen Platz zu finden, wo nicht die Polsterung herausquoll und der nicht feucht von vergossenem Bier war, erwies sich als Herausforderung, aber Biba war ihr gewachsen. Sie blockierte einen nicht abgewischten Tisch in der Nähe der Bar.
» Kannst du eine Flasche Rotwein holen, Schätzchen? Merlot, wenn sie haben«, sagte sie, und ich fragte mich, wie eine, deren Stimme und Handtasche auf eine teure Schulbildung und auf eine Selfridges-Kundenkarte schließen ließen, so arm sein konnte, dass sie sich die Preise in einer Studentenbar nicht leisten konnte. » Das ist so viel billiger, als glasweise zu bestellen, und wir müssen nicht dauernd an die Bar.« Von Rotwein bekam ich immer Kopfschmerzen, aber jetzt bestellte ich ihn, und weil Biba und Rex kaum etwas anderes tranken, trainierte auch ich es in diesem Sommer. Aber seitdem habe ich kein Tröpfchen Rotwein mehr getrunken. Für mich ist das
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