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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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fertige Glaswaren zum Abkühlen in einen speziellen Ofen brachten. Glas leuchtete überall in den schönsten Farben. Kein Stück glich dem anderen, hier handelte es sich ausschließlich um Einzelanfertigungen. Die Arbeit lief weitgehend wortlos ab, jeder Arbeiter schien genau zu wissen, was in welchem Moment von ihm verlangt wurde. Das feineZusammenspiel so vieler Hände erinnerte Wanda an die zahlreichen Ballettaufführungen, zu denen ihre Mutter sie in New York mitgenommen hatte. Jeder der Arbeiter schien die Seele des Glases zu spüren, jeder schien sich dem Glas hinzugeben. Was für ein Zauber!
    Ja, Glas war ein besonderer Werkstoff …
    Sie hätte einen guten Tag für ihren überraschenden Besuch erwischt, erklärte Karl ihr, denn heute seien die Glasmeister mit Auftragsarbeiten beschäftigt. Zuzusehen, wie die ellenlangen Glasröhren gezogen wurden, die später das Rohmaterial für die Heimarbeiter abgaben, mache zwar auch Spaß, aber das hier sei für einen Außenstehenden bestimmt noch interessanter.
    Wanda nickte heftig, noch immer benommen von den vielen Eindrücken.
    Die Luft war erfüllt von unterschiedlichen Gerüchen, die Wanda kaum hätte beschreiben können, die angenehm in der Nase kitzelten, sie gleichzeitig zum Husten brachten und die würzig rochen, nach Arbeit, Schweiß und Anstrengung. Außerdem war es siedendheiß. Die Hüttenarbeiter waren nur mit dünnen Hosen und ärmellosen Hemden bekleidet, und selbst diese dünnen Sachen waren vom Schweiß dunkel gefärbt. Anfangs hatte der Anblick der halbnackten Männer Wanda etwas verlegen gemacht. Krampfhaft versuchte sie, ihren Blick woanders hinzulenken. Gleichzeitig winkelte sie ein wenig die Arme an, um etwas Luft an ihre verschwitzten Achseln zu lassen. Wie man in dieser Schwüle arbeiten konnte, war ihr schleierhaft. Karl hatte ihr erklärt, daß in früheren Zeiten die zweite Hitze des Jahres – so hießen die Monate, in denen die Glashütte in Betrieb war – erst im August begonnen hatte und man die Wochen davor mit Reparaturen aller Art, mit Holzschlagen und anderen Arbeitenverbrachte. Doch seit einigen Jahren war man in der Gründler-Hütte dazu übergegangen, nur noch vier Wochen Sommerpause zu machen und mit der zweiten Hitze früher zu beginnen. Solange der Ofen nicht glühte, war schließlich kein Geld mit der Hütte zu verdienen …
    Zweite Hitze – was für ein passender Begriff, dachte Wanda bei sich. Laut sagte sie: »Wenn ich deine eingespielte Mannschaft betrachte, frage ich mich, welche Rolle eigentlich der Hüttenbesitzer bei den Arbeitsabläufen spielt. Sie kann doch nicht besonders groß sein, oder?« Alois Gründler schien wirklich die besten Männer an die jeweils richtigen Plätze gesetzt zu haben.
    Der Schweizer lachte. »Dazu möchte ich mich nicht äußern, wenn du verstehst … Aber hier siehst du übrigens einen ganz besonders wichtigen Mann!« Er nickte in Richtung eines Tisches, an dem Gustav Müller Sohn mit kritischem Blick Glasteile in die Hand nahm. Er sei der sogenannte Sortierer, erklärte Karl Wanda. »Was vor Gustavs Augen keine Gnade findet, ist Ausschuß. Und der bringt den Glasmachern kein Geld, ganz im Gegenteil, er kostet sie Geld!«
    Wanda winkte dem Sortierer, den sie vom Stammtisch im »Schwarzen Adler« her kannte, zu. Wann immer das Stammtischgespräch hitzig zu werden oder gar in einen Streit auszuufern drohte, war er zur Stelle, schlichtete mit mäßigenden Worten oder holte einfach seine Mundharmonika hervor, um die Wogen mit ein paar gefälligen Stücken zu glätten. Seltsamerweise gelang es ihm nicht, dieselbe Harmonie auch bei sich zu Hause herzustellen. Wenn man an seinem Haus vorbeilief, war oft das Gekeife von Gustav Müller Sohns Ehefrau zu hören. Es wurde gemunkelt, daß ab und an auch mal Teller und Tassen flogen, was sich Wanda gar nicht vorstellen konnte.
    Sie lächelte. »Wie ich Gustav einschätze, drückt der wahrscheinlich öfter mal ein Auge zu …«
    Â»Für meinen Geschmack zu häufig«, erwiderte Karl grimmig. »Wenn man die Burschen nicht ständig antriebe, würde hier bald der Schlendrian einziehen. Jockel! Was ist da drüben am Schmelzofen los? Siehst du denn nicht, daß … Ja, so was! Bin gleich zurück!« sagte er zu Wanda und

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