Das gläserne Paradies
»Aber genau deshalb lohnt es sich doch, eine Chance zu nutzen! Auch einmal ein Risiko einzugehen!«
Warum er bei diesen Worten seinen zukünftigenSchwiegersohn anstarrte und warum dieser gleichzeitig den Blick nicht von seinem Bierglas hob, verstand Benno nicht ganz. Erhoffte sich Heimer Zustimmung von Richard? Wenn ja, warum bekam er sie nicht? Wo Richard, der verrückte Glasbläser, doch das Paradebeispiel für Mut und das Nutzen von Chancen war. Und auÃerdem seine Braut hätte in Schutz nehmen müssen. Statt dessen schaute er muffelig drein, fast abweisend. Saà mit hochgezogenen Schultern da, die Arme vor der Brust verschränkt. So sind halt die jungen Leute, ging es Benno durch den Kopf. Wennâs darauf ankommt, kneifen sie. Oder denken nur an sich. Da! Jetzt holte Richard doch tatsächlich sein dämliches Notizbuch aus der Tasche und begann, wie wild darin herumzukritzeln. Als ob ihn die ganze Debatte nichts anginge!
Daà das Leben auch angenehme Ãberraschungen bereithalten könne, habe er erst von seiner Tochter lernen müssen, fuhr Thomas Heimer fort. Nach allem, was Karl der Schweizer Flein über das Gespräch auf der Bank berichtet habe, und angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage sei ein positiver Ausgang dieses Börsenhandels das einzige, was die Genossenschaft weiterbringen werde. Darauf würde man hoffen müssen. Heimer beendete seine kleine Rede mit einem Achselzucken.
»Am besten vergessen wir die ganze spinnerte Idee!« übernahm Jockel sofort das Wort.
» Ich schlage vor, wir vergessen lieber diese Debatte und stimmen einfach darüber ab, wer für das Börsengeschäft ist und wer dagegen!« widersprach Karl der Schweizer Flein und hatte die Leute auf seiner Seite.
Alois Gründler, der den ganzen Abend reglos und ohne ein Wort zu sagen dagesessen hatte wie ein Opferlamm, sah zu diesem Zeitpunkt aus, als würde er vor Unwohlseinsterben. Was habe ich nur angerichtet? schien seine Haltung auszudrücken.
Mit knapper Mehrheit stimmten die Mitglieder der Genossenschaft für das Börsengeschäft.
Alois Gründler entspannte sich und warf eine weitere Woche Aufschub in die Waagschale, was mit viel Zustimmung aufgenommen wurde.
29. K APITEL
»Sag mal, Wanda, ich wollte das gestern nicht fragen ⦠man will ja nicht dumm dastehen ⦠und ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob Karl richtig Bescheid weiÃ. Aber â« Maria Schweizer linste die StraÃe auf und ab, als wolle sie sich versichern, daà keine Mithörer in der Nähe waren.
»Ja?« Unruhig trat Wanda von einem Bein aufs andere. Als sie mit Sylvie aus dem Haus gegangen war, war der Himmel mit rasch dahinziehenden Wolken übersät gewesen; nun würde es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Regentropfen fielen. Sie hatte Eva versprochen, schnell in den Laden zu gehen, um Räucherfisch für den Mittagstisch zu besorgen; daà Maria Schweizer sie nun aufhielt, war Wanda gar nicht recht.
»Wie funktioniert das mit der Börse eigentlich?« platzte Maria heraus, von den drohenden Regengüssen scheinbar unbeeindruckt. »Ich meine â wie verdient man dort sein Geld?« schob sie nach, als Wanda nicht gleich antwortete.
Und Wanda gab sich geschlagen. Je besser die Leute Bescheid wuÃten, desto wohler würden sie sich fühlen â mit diesem Gedanken im Hinterkopf schob sie SylviesKinderwagen unter Marias Kirschbaum, wo sie zumindest teilweise vor den Regentropfen geschützt wären, und begann von Börsenplätzen, Dividenden, Kurszetteln, Haussiers und Baissiers zu erzählen.
Doch je weiter Wanda ausholte, desto verwirrter wurde Marias Blick.
Und Wanda gab sich ein zweites Mal geschlagen. Pfeif auf all die Theorie dachte sie. Wen willst du damit beeindrucken? Sie holte tief Luft. Auf ein neues!
»Nehmen wir einmal an, es gibt eine Firma, die ⦠äh ⦠Regenschirme herstellt«, sagte sie mit einem Blick in den sich weiter verdunkelnden Himmel. »Handgefertigte, hochfeine Regenschirme von allergröÃter Qualität und Güte und â«
»Was kann denn an Regenschirmen so hochfein sein?« wurde sie von Maria unterbrochen. »Hauptsache, sie lassen das Wasser nicht durch, oder?«
Wanda winkte ab. »Ist doch nur ein Beispiel! Also, diese Firma stellt wunderbare Regenschirme her, die sich leidlich gut verkaufen. Eines Tages kommt
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