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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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dann ein amerikanischer Großkunde zu dieser Firma und ist begeistert von den handgefertigten Schirmen. Er bietet der Firma an, alljährlich eine bestimmte Anzahl Schirme, sagen wir einmal fünftausend Stück, zu kaufen.«
    Â»Das muß aber ein sehr großer Großkunde sein«, warf Maria skeptisch ein.
    Â»Genau! Einer wie Mister Woolworth zum Beispiel«, sagte Wanda. Dann holte sie erneut Luft und fuhr fort: »Jedenfalls – nach diesem Großauftrag ist die Aktie der Regenschirmfirma viel mehr wert als vorher, verstehst du? Es geht also darum, die Aktie günstig zu kaufen, solange noch niemand etwas von Regenschirmen wissen will, und sie teuer zu verkaufen, wenn alle verrückt nachRegenschirmen sind. Wenn das Bankhaus Grosse also unser Geld in solch ein Unternehmen steckt, sind wir gemachte Leute!«
    Maria kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum.
    Du lieber Himmel, was konnte man denn an diesem Beispiel nicht verstehen, fragte sich Wanda. Noch einfacher ging es doch nicht!
    Â»Aber warum …« Maria hielt inne, als habe sie Mühe, ihre Frage zu formulieren. »Warum hat der Regenschirmfabrikant aus seiner Firma überhaupt eine Aktiengesellschaft gemacht? Warum hat er nicht alle Anteile selbst behalten? Dann wäre er nach dem Großauftrag ein gemachter Mann, während nun vor allem die … Wie heißen sie? Die Aktionäre profitieren. Oder?«
    Wanda nickte heftig. »Genau! Die Aktionäre profitieren!«
    Â»Aber warum –«
    Â»Herrje, Maria, frag mir doch keine Löcher in den Bauch«, lachte Wanda, konnte aber nichts gegen den gereizten Unterton in ihrer Stimme tun. »Vielleicht reichte dem Firmeninhaber die Lagerfläche nicht mehr. Er wollte also ein neues Lager kaufen, was natürlich Geld kostet. Oder er wollte gleich eine ganz neue Fabrik bauen und brauchte dafür Geld. Es gibt viele Gründe, die einen Firmeninhaber dazu bewegen, sein Geschäft in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Wenn ich so darüber nachdenke … Die Genossenschaftshütte wird später einmal ein ganz ähnliches Gebilde sein.«
    Maria nickte nachdenklich. Ihre Miene verzog sich zu einem spitzbübischen Grinsen, und sie versetzte Wanda einen kleinen Schubs in die Seite. »Daß wir Lauschaer so fortschrittlich sein können, hättest du nicht gedacht, was, Mädchen?«Die Regenschirme waren der Anfang. Beim nächsten Mal – Wanda war Magnus über den Weg gelaufen – mußten Gasbrenner herhalten, ein drittes Mal stand ein Hersteller von Schmierseife im Mittelpunkt ihrer Erörterungen. Sie hatte es leichter, wenn sie ihre Beispiele passend zum jeweils Fragenden wählte.
    Es verging kein Tag, an dem sie nicht mindestens einer Person das Wesen der Börse erklärte. Harry, wenn du mich hören könntest, du wärst stolz auf mich! ging es ihr mehr als einmal durch den Kopf.
    Ihre Bemühungen trugen Früchte. Als sie ein paar Tage später in den Laden ging, um Zucker fürs Marmeladekochen zu kaufen, kam sie dazu, wie Maria Karline unter Zuhilfenahme des Regenschirmfabrikanten ein lukratives Aktiengeschäft zu erklären versuchte. Als Karline die Frage stellte, warum der Amerikaner ausgerechnet Regenschirme wollte und keine Spazierstöcke oder Kuckucksuhren, plusterte sich Maria regelrecht auf. »Das ist doch nur ein Beispiel!« rief sie mit einem Ton in der Stimme, der besagte: Wie kann man nur so dumm fragen?
    Wanda hatte Mühe, nicht laut loszuprusten.

30. K APITEL
    Die Luft war erfüllt von Parfüm, Zigarettenrauch und dem säuerlichen Geruch von billigem Sekt.
    Friedhelm Strobel ließ sich an einem der winzigen runden Tischchen nieder, die rings um die Bühne angeordnet waren. Der Rauch brannte in seinen Augen, er hatte Mühe, im schummrigen Dunkel des Lokals etwas zuerkennen. Er saß noch nicht richtig, als schon eines der Animiermädchen auf seinen Schoß rutschen wollte. »Willkommen in der ›Blauen Eule‹«, raunte sie und rief kurz danach: »Aua!«, als Strobel sie mit einem nicht gerade sachten Klaps auf ihr Hinterteil davonschickte.
    Später vielleicht.
    Nachdem er seine Getränkebestellung aufgegeben hatte, lehnte er sich zurück. Seine Augen tränten, und einen Moment lang bedauerte er, nach dem Essen nicht gleich in sein Hotel gegangen zu sein.
    Die Reise nach Berlin hatte ihn über die Maßen erschöpft.

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