Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
und Fragen, über den ganzen unnützen Aufwand meiner Reise hierher und meines Besuches bei ihm. Nun, und etwas dergleichen war schließlich mit seinem Schweigen und Lächeln ja auch gemeint, sie waren tatsächlich eine Abwehr und eine Zurechtweisung, nur waren sie es auf andre Weise, auf einer andern Ebene und Sinnstufe, als etwa spöttische Worte es hätten sein können. Ich mußte erst erlahmen und mit meinen, wie mir schien, geduldig-höflichen Versuchen zur Einleitung eines Gespräches vollkommen Schiffbruch erleiden, ehe ich zu begreifen anfing, daß der alte Mann auch einer hundertmal größeren Geduld, Beharrlichkeit und Höflichkeit, als meine es war, leicht gewachsen sein würde. Möglich, daß es eine viertel oder eine halbe Stunde gedauert hat, mir kam es wie ein halber Tag vor, ich fing an, traurig, müde und unwillig zu werden und meine Reise zu bereuen, der Mund wurde mir trocken. Da saß der ehrwürdige Mann, mein Gönner, mein Freund, der, seit ich denken konnte, mein Herz und Vertrauen besaß und nie ein Wort von mir ohne Antwort gelassen hatte, da saß er und hörte mich reden, oder hörte mich auch nicht, saß und hatte sich völlig hinter sein Strahlen und Lächeln, hinter seine goldene Maske
verborgen und verschanzt, unerreichbar, einer anderen Welt mit anderen Gesetzen angehörig, und alles, was von mir zu ihm, aus unserer Welt in die seine hinüber sprechen wollte, lief an ihm ab wie Regen an einem Stein. Endlich – ich hatte schon keine Hoffnung mehr – durchbrach er die Zaubermauer, endlich half er mir, endlich sagte er ein Wort! Es war das einzige Wort, das ich ihn heut habe sprechen hören.
›Du ermüdest dich, Josef‹, sagte er leise und mit einer Stimme voll jener rührenden Freundlichkeit und Fürsorge, die du an ihm kennst. Dies war alles. ›Du ermüdest dich, Josef.‹ Als habe er mir lange Zeit bei einer allzu angestrengten Arbeit zugesehen und wolle mich jetzt mahnen. Er sprach die Worte ein wenig mühsam, als habe er schon recht lange Zeit die Lippen nicht mehr zum Sprechen gebraucht. Zugleich legte er seine Hand auf meinen Arm, sie war leicht wie ein Schmetterling, sah mir eindringlich in die Augen und lächelte. In diesem Augenblick war ich besiegt. Etwas von seiner heiteren Stille, etwas von seiner Geduld und Ruhe ging in mich über, und plötzlich überkam mich das Verständnis für den Alten und für die Wendung, die sein Wesen genommen hatte, weg von den Menschen und hin zur Stille, weg von den Worten und hin zur Musik, weg von den Gedanken und hin zur Einheit. Ich begriff, was mir hier anzuschauen vergönnt war, und begriff nun
auch erst dieses Lächeln, dieses Strahlen; es war ein Heiliger und Vollendeter, der mir hier für eine Stunde in seinem Glanz mitzuwohnen erlaubte und den ich Stümper hatte unterhalten, ausfragen und zu einer Konversation verführen wollen. Gott sei Dank war mir das Licht nicht zu spät aufgegangen. Er hätte mich auch wegschicken und damit für immer ablehnen können. Ich wäre damit um das Merkwürdigste und Herrlichste gekommen, was ich je erlebt habe.«
»Ich sehe«, sagte Ferromonte nachdenklich, »daß Ihr in unserem Alt-Musikmeister so etwas wie einen Heiligen gefunden habt, und es ist gut, daß gerade Ihr es seid, der es mir berichtet hat. Ich gestehe, daß ich von jedem andern Erzähler den Bericht nur mit dem größten Mißtrauen entgegengenommen hätte. Ich bin, alles in allem, gar kein Liebhaber des Mystischen, und namentlich bin ich, als Musiker und als Historiker, ein Freund und Pedant der reinlichen Kategorien. Da wir in Kastalien weder eine christliche Kongregation sind noch ein indisches oder taoistisches Kloster, scheint mir die Einreihung unter die Heiligen, unter eine rein religiöse Kategorie also, für einen von uns eigentlich nicht zulässig, und einem andern als dir – verzeiht, als Euch, Domine – würde ich diese Einreihung als eine Entgleisung vorhalten. Aber ich denke mir, Ihr werdet kaum die Absicht haben, zugunsten des verehrten Alt-Magisters ein Kanonisierungsverfahren einzuleiten, es würde dafür
in unsrem Orden sich ja auch die zuständige Behörde nicht finden. Nein, unterbrecht mich nicht, ich spreche im Ernst; es ist keineswegs spaßhaft gemeint. Ihr habt mir ein Erlebnis erzählt, und ich muß gestehen, daß es mich ein wenig beschämt hat, denn das von Euch geschilderte Phänomen ist zwar mir und meinen Monteporter Kollegen nicht völlig entgangen, aber wir haben es doch nur eben zur Kenntnis
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