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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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würde es ihm verbieten, etwa Eure Ehrwürden um einen Besuch zu bitten, auch wenn er ihn sich noch so sehr wünschen würde. So kam es, Domine, daß ich mit einem Auftrag dieser Art nicht beehrt worden bin und dennoch gehandelt habe, als sei er mir erteilt worden. Wenn es ein Fehler war, so liegt es bei Euch, den nicht vorhandenen Auftrag wirklich als nicht vorhanden zu betrachten.«
    Knecht lächelte ein wenig. »Und deine Beschäftigung im Spielarchiv, Bester? War sie bloß Vorwand?«
    »O nein. Ich habe dort eine Anzahl Schlüssel zu exzerpieren, hätte in nächster Zeit also ohnehin Eure Gastfreundschaft ansprechen müssen. Es schien mir aber geraten, die kleine Reise lieber etwas zu beschleunigen.«
    »Sehr gut«, nickte der Magister, wieder ganz ernst
geworden. »Ist die Frage nach der Ursache dieser Beschleunigung erlaubt?«
    Der Jüngling schloß einen Moment die Augen, die Stirn tief gerunzelt, als quäle die Frage ihn sehr. Dann richtete er den forschenden und jugendlichkritischen Blick wieder fest auf des Magisters Gesicht.
    »Die Frage kann nicht beantwortet werden, außer Ihr würdet Euch entschließen, sie noch genauer zu fassen.«
    »Gut denn«, rief Knecht. »Ist also das Befinden des Altmeisters schlecht, ist es besorgniserregend?«
    Der Student merkte, obwohl der Magister mit der größten Ruhe gesprochen hatte, dessen liebende Sorge um den alten Mann; zum erstenmal seit dem Beginn dieser Unterhaltung kam ein Strahl von Wohlwollen in seinen etwas finstern Blick, und seine Stimme klang um ein weniges freundlicher und unmittelbarer, als er sich endlich anschickte, sich offen seines Anliegens zu entledigen.
    »Herr Magister«, sagte er, »seid beruhigt, das Befinden des Hochverehrten ist keineswegs schlecht, er ist immer ein vorbildlich gesunder Mann gewesen und ist es noch immer, wenn auch das hohe Alter ihn natürlich sehr geschwächt hat. Es ist nicht etwa so, daß sein Aussehen sich merklich verändert oder seine Kräfte plötzlich rascher abgenommen hätten, er macht kleine Spaziergänge, musiziert jeden Tag ein wenig und hat bis vor kurzem noch zwei Schülern
Unterricht an der Orgel gegeben, Anfängern noch, denn er hat immer die Jüngsten am liebsten um sich gehabt. Aber daß er auch diese beiden letzten Schüler seit einigen Wochen abgegeben hat, ist immerhin ein Symptom, das mir auffiel, und seither habe ich den ehrwürdigen Herrn etwas mehr beobachtet und mir Gedanken über ihn gemacht – diese sind die Ursache meines Hierseins. Wenn etwas mich zu solchen Gedanken und Schritten berechtigt, so ist es der Umstand, daß ich früher selbst ein Schüler des Alt-Musikmeisters war, eine Art Vorzugsschüler, wenn ich so sagen darf, und daß sein Nachfolger mich schon seit einem Jahr als eine Art von Famulus und Gesellschafter dem alten Herrn zugewiesen und mit der Sorge um sein Ergehen beauftragt hat. Es war mir ein sehr angenehmer Auftrag, denn es gibt keinen Menschen, für den ich eine solche Verehrung und Anhänglichkeit hege wie für meinen alten Lehrer und Gönner. Er war es, der mir das Geheimnis der Musik erschlossen und mich zum Dienst an ihr fähig gemacht hat, und was ich darüber hinaus an Gedanken, an Sinn für den Orden, an Reife und innerer Ordnung etwa noch gewonnen habe, das kam alles auch von ihm und ist sein Werk. So lebe ich also seit wohl einem Jahre ganz bei ihm, zwar mit einigen Studien und Kursen beschäftigt, aber immer zu seiner Verfügung, sein Gesellschafter bei Tisch, sein Begleiter beim Promenieren, etwa auch beim Musizieren,
und nachts sein Wandnachbar. Bei diesem nahen Zusammenleben nun kann ich die Stadien seines – nun ja, seines Alterns muß ich wohl sagen, seines körperlichen Alterns recht genau beobachten, und einige meiner Kameraden machen je und je mitleidige oder spöttische Glossen über das wunderliche Amt, das einen so jungen Menschen wie mich zum Diener und Lebensbegleiter eines uralten Mannes macht. Aber sie wissen nicht, und außer mir allein weiß es wohl niemand so recht, was für ein Altern diesem Meister beschieden ist, wie er am Körper allmählich schwächer und hinfälliger wird, immer weniger Nahrung nimmt und immer ermüdeter von seinen kleinen Gängen heimkehrt, ohne doch je krank zu sein, und wie er zugleich in der Stille seines Greisenalters immer mehr Geist, Andacht, Würde und Einfalt wird. Wenn mein Amt als Famulus oder Wärter einige Schwierigkeiten hat, so liegen sie einzig darin, daß der Ehrwürdige so gar nicht bedient und

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