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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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gepflegt sein, daß er immer nur geben und nie nehmen möchte.«
    »Ich danke dir«, sagte Knecht, »es ist mir lieb, einen so ergebenen und dankbaren Schüler bei dem Ehrwürdigen zu wissen. Aber nun sage mir, da du ja nicht im Auftrag deines Herrn sprichst, endlich deutlich, warum dir mein Besuch in Monteport so am Herzen liegt.«
    »Ihr fragtet vorher mit Besorgnis nach der Ge
sundheit des Herrn Alt-Musikmeisters«, gab der Junge Antwort, »denn offenbar hatte mein Anliegen Euch den Gedanken nahegelegt, er möchte krank und es könnte am Ende hohe Zeit sein, ihn noch einmal aufzusuchen. Nun, ich glaube in der Tat, es sei hohe Zeit. Zwar scheint der Ehrwürdige mir nicht dem Ende nah, aber seine Art des Abschiednehmens von der Welt ist nun einmal eine besondere. So hat er seit einigen Monaten sich beinahe ganz des Sprechens entwöhnt, und wenn er schon immer die kurze Rede der langen vorgezogen hat, so ist er jetzt zu einer Kürze und Stille gelangt, die mich ein wenig beängstigt. Als es immer häufiger vorkam, daß er mich auf eine Anrede oder Frage ohne Antwort ließ, dachte ich anfangs, sein Gehör beginne schwach zu werden, aber er hört so gut wie immer, ich habe viele Proben angestellt. Nun mußte ich also annehmen, er sei eben zerstreut und vermöge seine Aufmerksamkeit nicht recht mehr zu sammeln. Aber es ist auch dies keine genügende Erklärung. Vielmehr ist er schon lang gewissermaßen unterwegs und lebt nicht mehr ganz unter uns, sondern mehr und mehr in seiner eigenen Welt; so hat er auch immer seltener jemand aufgesucht oder zu sich kommen lassen, außer mir sieht er jetzt tagelang niemanden mehr. Und seit dies begonnen hat, diese Abseitigkeit, dieses Nichtmehrhiersein, seither war ich bemüht, ihm die paar Freunde noch einmal zuzuführen, von denen ich weiß, daß
er sie am meisten liebte. Wenn Ihr ihn aufsuchen wolltet, Domine, würdet Ihr ohne Zweifel Eurem alten Freunde eine Freude bereiten, dessen bin ich gewiß, und Ihr würdet auch noch einigermaßen denselben Mann antreffen, den Ihr verehrt und geliebt habt. In einigen Monaten, vielleicht auch schon in einigen Wochen, würde seine Freude an Euch und seine Teilnahme für Euch schon viel geringer sein, ja, es ist wohl möglich, daß er Euch gar nicht mehr kennen oder doch nicht mehr beachten würde.«
    Knecht stand auf, trat ans Fenster und stand eine kleine Weile, hinausblickend und Luft schöpfend. Als er sich dem Studenten wieder zuwandte, war dieser vom Stuhl aufgestanden, als halte er die Audienz für beendet. Der Magister reichte ihm die Hand.
    »Ich danke nochmals, Petrus«, sagte er. »Es wird dir bekannt sein, daß ein Magister allerlei Pflichten hat. Ich kann nicht den Hut aufsetzen und abreisen, es muß erst eingeteilt und ermöglicht werden. Hoffentlich bin ich bis übermorgen so weit. Würde dir das genügen, und wärest du bis dahin mit deiner Arbeit im Archiv fertig? – Ja? Dann werde ich dich also rufen lassen, wenn es Zeit ist.«
    Wirklich reiste Knecht wenige Tage später, von Petrus begleitet, nach Monteport. Als sie dort den Pavillon betraten, den der Alt-Magister in den Gärten bewohnte, eine anmutige und überaus ruhige Klause, hörten sie Musik aus dem hinteren Zimmer her, eine
zarte, dünne, aber taktfeste und köstlich heitere Musik; dort saß der Alte und spielte mit zwei Fingern eine zweistimmige Melodie – Knecht riet sofort, es müsse aus einem der Bicinien-Bücher vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts sein. Sie blieben stehen, bis es still wurde, dann rief Petrus seinen Meister an und meldete, er sei zurück und habe einen Besuch mitgebracht. Der Greis erschien in der Tür und blickte sie begrüßend an. Dies Begrüßungslächeln des Musikmeisters, das alle liebten, war stets von einer kindlich offenen, strahlend sich darbietenden Herzlichkeit und Freundlichkeit gewesen; vor bald dreißig Jahren hatte Josef Knecht es zum erstenmal gesehen und sein Herz diesem freundlichen Manne geöffnet und geschenkt in jener beklommenseligen Morgenstunde im Musikzimmer, er hatte dies Lächeln seither oft und jedesmal mit tiefer Freude und einer wunderlichen Rührung wiedergesehen, und während des freundlichen Meisters gräuliches Haar allmählich vollends grau und allmählich weiß geworden, während seine Stimme leiser, sein Händedruck schwächer, sein Gang mühsamer geworden war, hatte das Lächeln nichts an Helligkeit und Anmut, an Reinheit und Innigkeit verloren. Und diesmal, sah der Freund und Schüler, war es

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