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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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da ist, erlaube mir, für einen Augenblick an seiner Stelle dich in die Schule zu nehmen. Ich habe dich ein wenig beobachtet und finde, daß du nicht eben gut in Form bist. In dem Augenblick, in dem ein Athlet einen unerwarteten Schlag oder Druck erleidet, macht seine Muskulatur wie von selbst die nötigen Bewegungen, dehnt oder duckt sich und hilft ihm, der Lage Herr zu werden. So hättest du, Schüler Plinio, im Augenblick, als du den Schlag empfingst – oder was dir übertriebenerweise wie ein Schlag vor
kam –, das erste Abwehrmittel bei seelischen Angriffen anwenden und auf langsame, sorgfältig beherrschte Atmung bedacht sein müssen. Statt dessen hast du geatmet wie ein Schauspieler, der Erschüttertsein darstellen muß. Du bist nicht gut genug gerüstet, ihr Weltleute scheint dem Leiden und den Sorgen auf eine ganz besondere Art offenzustehen. Es hat etwas Hilfloses und Rührendes und manchmal, nämlich wenn es sich um echte Leiden handelt und das Martyrium Sinn hat, auch etwas Großartiges. Aber für den Alltag ist dieser Verzicht auf Abwehr keine Waffe; ich werde dafür sorgen, daß dein Sohn einmal besser gerüstet sein wird, wenn er es nötig hat. Und jetzt, Plinio, sei so gut und mach ein paar Übungen mit mir, damit ich sehe, ob du wirklich alles schon wieder verlernt hast.«
    Mit den Atemübungen, zu denen er streng rhythmische Kommandos gab, lenkte er den Freund heilsam von seiner Selbstquälerei ab, und danach fand er ihn auch willig, auf Vernunftgründe zu hören und den Schreckens- und Sorgenaufwand wieder abzubauen. Sie gingen in Titos Zimmer hinauf; mit Vergnügen betrachtete Knecht das Durcheinander knabenhafter Besitztümer, er griff nach einem auf dem Tischchen beim Bett liegenden Buch, sah ein darein gestecktes Stück Papier hervorragen, und siehe, es war ein Zettel mit einer Botschaft des Verschwundenen. Er reichte das Blatt Designori hin und lachte,
und auch dessen Gesicht ward nun wieder hell. Auf dem Zettel teilte Tito seinen Eltern mit, er sei heute in aller Frühe aufgebrochen und reise allein ins Gebirge, wo er in Belpunt auf den neuen Lehrer warte. Man möge ihm, ehe seine Freiheit wieder so lästig beschränkt werde, dieses kleine Vergnügen gönnen, er habe einen unüberwindlichen Widerwillen dagegen, diese schöne kleine Reise in Begleitung des Lehrers, schon als Beaufsichtigter und Gefangener, zu machen.
    »Sehr verständlich«, meinte Knecht. »Ich werde ihm also morgen nachreisen und ihn wohl schon in deinem Landhaus finden. Jetzt aber geh vor allem zu deiner Frau und bringe ihr die Nachricht.«
    Für den Rest dieses Tages war die Stimmung im Hause heiter und entspannt. An jenem Abend hat Knecht auf Plinios Drängen dem Freund in Kürze die Vorgänge der letzten Tage und namentlich seine beiden Gespräche mit Meister Alexander erzählt. An jenem Abend hat er auch einen wunderlichen Vers auf ein Zettelchen geschrieben, das heute im Besitz Tito Designoris ist. Damit hat es folgende Bewandtnis:
    Der Hausherr hatte ihn vor der Abendmahlzeit für eine Stunde allein gelassen. Knecht sah einen Schrank voll alter Bücher stehen, der seine Neugierde weckte. Auch dies war ein Vergnügen, das er in vielen Jahren der Enthaltsamkeit verlernt und beinah verges
sen hatte und das ihn jetzt innig an seine Studentenjahre erinnerte: vor unbekannten Büchern stehen, aufs Geratewohl hineingreifen und sich da und dort einen Band herausfischen, dessen Vergoldung oder Autorname, dessen Format oder Lederfarbe einen ansprach. Mit Behagen überflog er vorerst die Titel auf den Bücherrücken und stellte fest, daß es lauter schöne Literatur des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts sei, was er da vor sich habe. Schließlich zog er einen abgebleichten Leinenband heraus, dessen Titel »Weisheit des Brahmanen« ihn lockte. Stehend erst, dann sitzend blätterte er in dem Buch, das viele Hunderte von Lehrgedichten enthielt, ein kurioses Nebeneinander von lehrhafter Gesprächigkeit und wirklicher Weisheit, von Philistrosität und echtem Dichtergeist. Es fehlte diesem sonderbaren und rührenden Buch, so wollte es ihm scheinen, keineswegs an Esoterik, aber sie stak in derben hausbackenen Schalen, und nicht jene Gedichte darin waren die hübschesten, in welchen wirklich eine Lehre und Weisheit nach Gestalt strebte, sondern jene, in welchen des Dichters Gemüt, sein Liebesvermögen, seine Redlichkeit und Menschenliebe, sein bürgerlich gediegener Charakter Ausdruck fand. Indem er mit einer eigenen Mischung

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