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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Arbeit bei der bevorstehenden Kontrolle des Spielerdorfes und der Neuwahl eines Magisters zu erleichtern. In kleinen hübschen Buchstaben standen die klugen Bemerkungen da, Worte und Handschrift ebenso vom einmaligen und unverwechselbaren Wesen dieses Josef Knecht geprägt wie sein Gesicht, seine Stimme, sein Gang. Schwerlich würde die Behörde einen Mann seines Ranges finden, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen; die wirklichen
Herren und wirklichen Persönlichkeiten waren eben doch selten, und jede solche Gestalt ein Glücksfall und Geschenk, auch hier in Kastalien, der Elite-Provinz.
     
    Das Gehen machte Josef Knecht Freude, er war seit Jahren nicht mehr zu Fuß gereist. Ja, wenn er sich genauer zu besinnen suchte, wollte ihm scheinen, seine letzte richtige Fußwanderung sei jene gewesen, die ihn einst vom Stift Mariafels zurück nach Kastalien und zu jenem Jahresspiel nach Waldzell geführt hatte, das durch den Tod der »Exzellenz«, des Magisters Thomas von der Trave, so sehr belastet worden war und ihn selbst zu dessen Nachfolger hatte werden lassen. Sonst, wenn er an jene Zeiten und gar an die Studentenjahre und das Bambusgehölz zurückdachte, war es stets gewesen, als blicke er aus einer nüchtern kühlen Kammer in weite, fröhlich besonnte Gegenden hinaus, ins Unwiederbringliche, zum Erinnerungsparadies Gewordene; immer war solches Gedenken, auch wenn es ohne Wehmut geschah, eine Schau des sehr Fernen, Anderen, vom Heute und Alltag geheimnisvoll-festlich Verschiedenen gewesen. Jetzt aber, an diesem heitern lichten Septembernachmittag mit den kräftigen Farben der Nähe und den sanft behauchten, traumzarten, vom Blau ins Violett spielenden Tönen der Ferne, beim behaglichen Wandern und müßigen Schauen blickte jene vor so langer
Zeit erlebte Fußreise nicht wie eine Ferne und ein Paradies in ein resigniertes Heute herein, sondern es war die heutige Reise der damaligen, der heutige Josef Knecht dem von damals brüderlich ähnlich, es war alles wieder neu, geheimnisvoll, vielversprechend, es konnte alles Gewesene wiederkehren und noch viel Neues dazu. So hatte der Tag und die Welt ihn lange nicht mehr angeblickt, so unbeschwert, schön und unschuldig. Das Glück der Freiheit und Selbstbestimmung durchflutete ihn wie ein starker Trank; wie lange hatte er diese Empfindung, diese holde und entzückende Illusion nicht mehr verspürt! Er sann nach und erinnerte sich der Stunde, in welcher einst dies köstliche Gefühl ihm angetastet und in Fesseln gelegt worden war, es war in einem Gespräch mit dem Magister Thomas, unter dessen freundlich-ironischem Blick, und wohl erinnerte er sich der unheimlichen Empfindung jener Stunde, in welcher er seine Freiheit verlor; sie war nicht eigentlich ein Schmerz, ein brennendes Leiden gewesen, sondern mehr eine Bangigkeit, ein leiser Schauder im Nacken, ein warnendes Organgefühl überm Zwerchfell, eine Änderung in der Temperatur und namentlich im Tempo des Lebensgefühls. Die so bange, zusammenziehende, von fern her mit Ersticken drohende Empfindung jener Schicksalsstunde wurde heute kompensiert oder geheilt.
    Knecht hatte gestern auf seiner Fahrt nach Hirs
land beschlossen: was immer dort geschehen möge, es unter keinen Umständen zu bereuen. Für heute nun verbot er sich, an die Einzelheiten seiner Gespräche mit Alexander zu denken, an seinen Kampf mit ihm, seinen Kampf um ihn. Er stand ganz dem Gefühl von Entspannung und Freiheit offen, das ihn erfüllte wie einen Bauer nach getanem Tagewerk das Feierabendgefühl, er wußte sich geborgen und zu nichts verpflichtet, wußte sich für einen Augenblick vollkommen entbehrlich und ausgeschaltet, zu keiner Arbeit, keinem Denken verpflichtet, und der lichte farbige Tag umgab ihn sanft strahlend, ganz Bild, ganz Gegenwart, ohne Forderung, ohne Gestern und Morgen. Zuweilen summte der Zufriedene im Gehen eines der Marschlieder vor sich hin, die sie einst als kleine Eliteschüler in Eschholz auf Ausflügen drei- und vierstimmig gesungen hatten, und es kamen ihm aus der heitern Morgenfrühe seines Lebens kleine helle Erinnerungen und Klänge herübergeflogen wie Vogelgezwitscher.
    Unter einem Kirschbaum mit schon ins Purpurne spielendem Laube machte er halt und setzte sich ins Gras. Er griff in die Brusttasche seines Rockes und zog ein Ding hervor, das Meister Alexander nicht bei ihm vermutet hätte, eine kleine hölzerne Flöte nämlich, die er mit einer gewissen Zärtlichkeit betrachtete. Er besaß dieses naiv und kindlich

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