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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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diesem Schüler das Ererbte an Wissen und Methode beibringen und ihn zur Mitarbeit am geistigen Leben fähig machen – und muß doch fühlen, daß seine eigentliche, höhere Pflicht es
wäre, die Wissenschaften und Künste gerade vor dem Zudrang der Nurbegabten zu schützen; denn der Lehrer hat ja nicht dem Schüler zu dienen, sondern beide dem Geist. Dies ist der Grund, warum die Lehrer vor gewissen blendenden Talenten eine Scheu und ein Grauen haben; jeder derartige Schüler verfälscht den ganzen Sinn und Dienst der Lehrarbeit. Jede Förderung eines Schülers, der zwar zu glänzen, aber nicht zu dienen fähig ist, bedeutet im Grunde eine Schädigung des Dienstes, eine Art von Verrat am Geist. Wir kennen in der Geschichte mancher Völker Perioden, in welchen, bei tiefgehender Störung der geistigen Ordnungen, geradezu ein Ansturm der Nurbegabten auf die Leitung der Gemeinden, der Schulen und Akademien, der Staaten stattgefunden hat und in allen Ämtern hochtalentierte Leute saßen, welche alle regieren wollten, ohne dienen zu können. Diese Art von Talenten rechtzeitig zu erkennen, noch ehe sie sich der Fundamente eines geistigen Berufes bemächtigt haben, und sie mit der notwendigen Härte auf die Wege zu ungeistigen Berufen zurückzuschicken, ist gewiß oft sehr schwer. Auch Knecht hatte Fehler gemacht, er hatte mit dem Lehrling Maro allzu lange Geduld gehabt, er hatte einem Streber und Oberflächlichen manche Adeptenweisheit anvertraut, um die es schade war. Die Folgen waren für ihn selbst schwerere, als er je gedacht hätte.
    Es kam ein Jahr – Knechts Bart war schon ziemlich grau geworden –, da schien die Ordnung zwischen Himmel und Erde durch Dämonen von ungewöhnlicher Kraft und Tücke verrückt und gestört worden zu sein. Diese Störungen begannen im Herbst schauerlich und majestätisch, jede Seele bis zum Grunde erschreckend und mit Angst beklemmend, mit einem nie gesehenen Himmelsschauspiel, bald nach der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, welche vom Regenmacher immer mit einer gewissen Feierlichkeit und ehrfürchtigen Andacht, mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit beobachtet und erlebt wurde. Da kam ein Abend, leicht, windig und etwas kühl, der Himmel glasig klar bis auf wenige unruhige Wölkchen, die in sehr großer Höhe schwebten und das rosige Licht der untergegangenen Sonne ungewöhnlich lange festhielten: treibende, lockere und schaumige Lichtbündel im kalten, bleichen Weltraum. Knecht hatte schon seit einigen Tagen etwas gespürt, das stärker und merkwürdiger war als das, was jedes Jahr um diese Zeit der beginnenden kürzeren Tage zu spüren war, ein Wirken der Mächte im Himmelsraum, eine Bangigkeit der Erde, der Pflanzen und Tiere, eine Unruhe in den Lüften, etwas Unstetes, Wartendes, Banges, Ahnungsvolles in aller Natur, auch die lang und zuckend nachflammenden Wölkchen dieser Abendstunde gehörten dazu mit ihren flatternden Bewegungen, welche nicht dem auf Erden wehenden Wind
entsprachen, und ihrem flehenden, sich lang und trauernd gegen das Erlöschen wehrenden roten Licht, nach dessen Erkalten und Schwinden sie plötzlich unsichtbar waren.
    Im Dorf war es ruhig, vor der Hütte der Altmutter hatten die Besucher und zuhörenden Kinder sich schon lange verloren, ein paar Knaben jagten und rauften sich noch, sonst war alles schon in den Hütten, hatte längst gegessen. Viele schliefen schon, kaum daß jemand, außer dem Regenmacher, die abendroten Wolken beobachtete. Knecht ging in der kleinen Pflanzung hinter seiner Hütte auf und ab, dem Wetter nachgrübelnd, gespannt und ruhelos, zuweilen setzte er sich zu kurzer Rast auf den Baumklotz, der zwischen den Brennesseln stand und zum Holzspalten diente. Mit dem Erlöschen der letzten Wolkenkerze wurden die Sterne in dem noch hell und grünlich nachschimmernden Himmel plötzlich deutlicher sichtbar und nahmen schnell an Zahl und an Leuchtkraft zu; wo eben noch zwei oder drei sichtbar gewesen waren, standen schon zehn, zwanzig. Viele von ihnen und ihren Gruppen und Familien waren dem Regenmacher bekannt, er hatte sie viel hundertmal gesehen; ihre unveränderte Wiederkehr hatte etwas Beruhigendes, Sterne waren tröstlich, fern zwar und kalt standen sie oben, keine Wärme strahlend, aber zuverlässig, fest gereiht, Ordnung verkündend, Dauer versprechend. Dem Leben auf Erden, dem Le
ben der Menschen anscheinend so fremd und fern und entgegengesetzt, so unrührbar von seiner Wärme, seinen Zuckungen, Leiden und Ekstasen, ihm mit ihrer

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