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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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vornehm kalten Majestät und Ewigkeit so bis zum Spott überlegen, waren die Sterne dennoch in Beziehung zu uns, leiteten und regierten uns vielleicht, und wenn irgendein menschliches Wissen, ein geistiger Besitz, eine Sicherheit und Überlegenheit des Geistes über das Vergängliche erreicht und festgehalten wurde, so glichen sie den Sternen, strahlten wie sie in kühler Ruhe, trösteten mit kühlem Schauer, blickten ewig und etwas spöttisch. So war es dem Regenmacher oft erschienen, und wenn er auch zu den Sternen keineswegs das nahe, erregende, in beständiger Änderung und Wiederkehr sich erprobende Verhältnis hatte wie zum Mond, dem Großen, Nahen, Feuchten, dem fetten Zauberfisch im Himmelsmeer, so verehrte er sie doch tief und war ihnen durch manchen Glauben verbunden. Sie lange anzublicken und auf sich einwirken zu lassen, seine Klugheit, seine Wärme, seine Bangigkeit ihren kaltstillen Blicken darzubieten, war ihm oft wie Bad und Heiltrank gewesen.
    Auch heute blickten sie wie immer, nur sehr hell und wie scharfgeschliffen in der straffen, dünnen Luft, aber er fand nicht die Ruhe in sich, sich ihnen hinzugeben, es zog aus unbekannten Räumen her eine Macht an ihm, schmerzte in den Poren, sog an den
Augen, wirkte still und stetig, ein Strom, eine warnende Bebung. Nebenan in der Hütte glomm trüb rot das warme schwache Licht der Herdglut, floß das kleine warme Leben, klang ein Zuruf, ein Lachen, ein Gähnen, atmete Menschengeruch, Hautwärme, Mütterlichkeit, Kinderschlaf, und schien durch seine harmlose Nähe die angebrochene Nacht noch zu vertiefen, die Sterne noch weiter zurück in die unbegreifliche Ferne und Höhe zu treiben.
    Und jetzt, während Knecht in der Hütte drinnen die Stimme Adas, ein Kind beruhigend, melodisch tief sumsen und brummen hörte, begann am Himmel die Katastrophe, deren das Dorf noch jahrelang gedenken sollte. Es trat in dem stillen blanken Netz der Sterne da und dort ein Flimmern und Flackern ein, als zuckten die sonst unsichtbaren Fäden dieses Netzes flammend auf, es fielen, wie Steine geworfen, aufglühend und rasch wieder erlöschend, einzelne Sterne schräg durch den Raum, hier einer, dort zwei, hier ein paar, und noch hatte das Auge den ersten entschwundenen Fallstern nicht losgelassen, noch hatte das Herz, vom Anblick versteinert, nicht wieder zu schlagen begonnen, da jagten sich die schräg und in leicht gekrümmter Linie durch den Himmel fallenden oder geschleuderten Lichter schon in Schwärmen von Dutzenden, von Hunderten, in unzählbaren Scharen trieben sie, wie von einem stummen Riesensturm getragen, quer durch die schweigende
Nacht, als habe ein Weltenherbst alle Sterne wie welke Blätter vom Himmelsbaum gerissen und jage sie lautlos dahin, ins Nichts. Wie welke Blätter, wie wehende Schneeflocken flohen sie, Tausende und Tausende, in schauerlicher Stille dahin und hinab, hinter den südöstlichen Waldbergen verschwindend, wo noch niemals seit Menschengedenken ein Stern untergegangen war, irgendwohin ins Bodenlose hinab.
    Erstarrten Herzens, mit flimmernden Augen stand Knecht, den Kopf in den Nacken gedrückt, entsetzten und doch unersättlichen Blicks in den verwandelten und verwunschenen Himmel schauend, seinen Augen mißtrauend und doch des Schrecklichen nur allzu gewiß. Wie alle, denen dieser nächtliche Anblick geworden war, glaubte er die wohlbekannten Sterne selbst wanken, dahinstieben und hinabstürzen zu sehen und erwartete das Gewölbe, falls nicht vorher die Erde ihn verschlänge, in Bälde schwarz und ausgeleert zu sehen. Nach einer Weile freilich erkannte er, was andere zu erkennen nicht fähig waren, daß die wohlbekannten Sterne hier und dort und überall noch vorhanden waren, daß das Sterngestiebe nicht unter den alten, vertrauten Sternen ein schreckliches Wesen trieb, sondern im Zwischenraum zwischen Erdboden und Himmel, und daß diese fallenden oder geworfenen, neuen, so schnell erscheinenden und so schnell schwindenden Lichter in einem etwas anders gefärbten Feuer glühten als
die alten, die richtigen Sterne. Dies war ihm tröstlich und half ihm sich wiederfinden, aber mochten das nun auch neue, vergängliche, andre Sterne sein, deren Gestöber die Luft erfüllte: grausig und böse, Unheil und Unordnung war es doch, tiefe Seufzer kamen aus Knechts vertrockneter Kehle. Er blickte erdwärts, er horchte umher, um zu erfahren, ob ihm allein dies geisterhafte Schauspiel erscheine oder ob auch andre es sähen. Bald hörte er von anderen Hütten her

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