Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
primitiv anmutende Zeit hinaus, noch um weitere Jahrtausende zurückgehen könnten: wir würden, das ist unser Glaube, mit dem Menschen zugleich überall auch schon den Geist antreffen, den Geist, der ohne Anfang ist und immer schon alles und jedes enthalten hat, was er später je hervorbringt.
    Es war dem Wettermacher nicht bestimmt, eine seiner Ahnungen zu verewigen und der Beweisbarkeit näherzuführen, deren sie für ihn auch kaum bedurften. Weder wurde er einer der vielen Erfinder der Schrift, noch der Geometrie, noch der Medizin oder Astronomie. Er blieb ein unbekanntes Glied in der Kette, aber ein Glied so unentbehrlich wie jedes: er gab weiter, was er empfangen hatte, und er gab neu Erworbenes und Erkämpftes hinzu. Denn auch er hatte Schüler. Zwei Lehrlinge bildete er im
Lauf der Jahre zu Regenmachern aus, deren einer später sein Nachfolger wurde.
    Lange Jahre trieb er sein Gewerbe und Wesen unbelauscht und allein, und als zum erstenmal – es war nicht lange nach einer großen Mißwachs- und Hungersnot – ein Jüngling ihn zu besuchen, zu beobachten, zu umlauern, zu verehren und zu verfolgen begann, einer, den es zur Regenmacherei und zum Meister trieb, da empfand er mit einer wunderlich wehmütigen Bewegung des Herzens die Wiederkehr und Umkehr jenes großen Erlebnisses seiner Jugend und empfand dabei zum erstenmal jenes mittägliche, strenge, zugleich einschnürende und aufweckende Gefühl: daß die Jugend vorüber, daß der Mittag überschritten, die Blüte Frucht geworden sei. Und was er nie gedacht hätte, er verhielt sich gegen den Knaben ganz gleich, wie einst der alte Turu sich gegen ihn selbst verhalten hatte, und dies spröde, abweisende, zuwartende, hinauszögernde Verhalten ergab sich ganz von selber, ganz instinktiv, es war weder eine Nachahmung des verstorbenen Meisters, noch kam es aus Erwägungen moralischer und erzieherischer Art, wie daß man einen jungen Menschen erst lange prüfen müsse, ob es ihm ernst genug sei, daß man den Zugang zur Einweihung in Geheimnisse keinem leicht machen, ihn vielmehr recht sehr erschweren müsse und dergleichen. Nein, Knecht benahm sich gegen seine Lehrlinge ganz einfach so, wie sich jeder
schon ein wenig alternde Einzelgänger und gelehrte Sonderling gegen Verehrer und Schüler benimmt: verlegen, scheu, abweisend, fluchtbereit, voll Bangen um seine schöne Einsamkeit und Freiheit, um sein Schweifen in der Wildnis, sein einsames freies Jagen und Sammeln, Träumen und Lauschen, voll eifersüchtiger Liebe zu allen seinen Gewohnheiten und Liebhabereien, seinen Geheimnissen und Versunkenheiten. Keineswegs umarmte er den zaghaften jungen Menschen, der sich ihm mit verehrender Neugierde näherte, keineswegs half er ihm über diese Zaghaftigkeit hinweg und ermunterte ihn, keineswegs empfand er es als Freude und Lohn, als Anerkennung und angenehmen Erfolg, daß nun endlich die Welt der anderen ihm einen Sendboten und eine Liebeserklärung zuschickte, daß jemand ihn umwarb, daß jemand sich ihm zugetan und verwandt und gleich ihm zum Dienst an den Geheimnissen berufen fühlte. Nein, er empfand es vorerst nur als lästige Störung, als einen Griff in seine Rechte und Gewohnheiten, einen Raub an seiner Unabhängigkeit, von der er jetzt erst sah, wie sehr er sie liebte; er sträubte sich dagegen und wurde erfinderisch im Überlisten und Sichverbergen, im Verwischen seiner Fährte, im Ausbiegen und Entkommen. Aber auch darin ging es ihm, wie es einst Turu gegangen war, daß das lange, stumme Werben des Jungen ihm langsam das Herz erweichte, seinen Widerstand langsam, langsam er
müdete und schmolz und daß er, je mehr der Junge an Boden gewann, in langsamem Fortschritt sich ihm zuwenden und öffnen, sein Verlangen gutheißen, sein Werben annehmen und in der neuen, oft so lästigen Pflicht des Anlernens und Schülerhabens das Unabwendbare, das vom Schicksal Gegebene und vom Geist Gewollte sehen lernte. Mehr und mehr mußte er Abschied nehmen vom Traum, von dem Gefühl und Genuß der unendlichen Möglichkeiten, der tausendfältigen Zukunft. Statt des Traumes vom unendlichen Fortschritt, von der Summe aller Weisheit, stand nun der Schüler da, eine kleine, nahe, fordernde Wirklichkeit, ein Eindringling und Störenfried, aber unabweisbar und unabwendbar, der einzige Weg in die wirkliche Zukunft, die einzige, wichtigste Pflicht, der einzige schmale Weg, auf welchem des Regenmachers Leben und Taten, Gesinnungen, Gedanken und Ahnungen vor dem Tode bewahrt bleiben und in

Weitere Kostenlose Bücher