Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
ebenso der Zwang zu Tat und Verstrickung, aus der Zärtlichkeit wuchs Streit, aus der Liebe Krieg; schon hatte er, wenn auch nur um gerecht zu sein und zu strafen, eine Herde geraubt, ein Dorf in Todesangst gejagt
und arme, unschuldige Menschen gewaltsam fortgeschleppt, und daraus würde natürlich wieder neue Rache und Gewalttat wachsen, und so immer weiter, bis sein ganzes Leben und sein ganzes Land nur noch Krieg und Gewalttat und Waffenlärm sein würde. Diese Einsicht oder Vision war es, die ihn bei jener Heimkehr so still gemacht und traurig hatte erscheinen lassen.
Und in der Tat gab der feindselige Nachbar keine Ruhe. Er wiederholte seine Einfälle und Raubzüge. Dasa mußte zu Strafe und Gegenwehr ausziehen und mußte, wenn der Feind sich ihm entzog, es dulden, daß seine Soldaten und Jäger dem Nachbarn neue Schäden zufügten. In der Hauptstadt sah man mehr und mehr Berittene und Bewaffnete, in manchen Grenzdörfern lagen jetzt ständig Soldaten zur Bewachung, kriegerische Beratungen und Vorbereitungen machten die Tage unruhig. Dasa vermochte nicht einzusehen, welchen Sinn und Nutzen der ewige Kleinkrieg haben möge, es tat ihm leid um die Leiden der Betroffenen, um das Leben der Getöteten, es tat ihm leid um seinen Garten und seine Bücher, die er mehr und mehr versäumen mußte, um den Frieden seiner Tage und seines Herzens. Er sprach mit Gopala, dem Brahmanen, häufig darüber und einige Male auch mit seiner Gattin Pravati. Man müßte, so sagte er, dahin streben, daß einer der angesehenen Nachbarfürsten als Schiedsrichter angerufen werde
und Frieden stifte, und er für sein Teil werde gern darein willigen, etwa durch Nachgiebigkeit und Abtrennung einiger Weiden und Dörfer den Frieden herbeiführen zu helfen. Er war enttäuscht und etwas unwillig, als er sah, daß weder der Brahmane noch Pravati davon etwas wissen wollte.
Mit Pravati führte der Meinungsstreit hierüber zu einer sehr heftigen Auseinandersetzung, ja zu einer Entzweiung. Eindringlich und beschwörend tat er ihr seine Gründe und Gedanken kund, sie aber empfand jedes Wort, als sei es nicht gegen den Krieg und das unnütze Morden, sondern einzig gegen ihre Person gerichtet. Es sei, so belehrte sie ihn in einer glühenden und wortreichen Rede, es sei ja gerade des Feindes Absicht, Dasas Gutmütigkeit und Friedensliebe (um nicht zu sagen, seine Angst vor dem Krieg) zu seinem Vorteil auszunutzen, er werde ihn dazu bringen, Frieden um Frieden zu schließen, und jeden mit kleinen Abtretungen an Gebiet und Volk zu bezahlen, und am Ende werde er keineswegs etwa zufrieden sein, sondern werde, sobald Dasa genügend geschwächt sei, zum offenen Krieg übergehen und ihm auch das Letzte noch rauben. Es gehe hier nicht um Herden und Dörfer, um Vorteile und Nachteile, sondern ums Ganze, es gehe um Bestand oder Vernichtung. Und wenn Dasa nicht wisse, was er seiner Würde, seinem Sohn und seinem Weibe schuldig sei, so müsse eben sie es ihn lehren. Ihre Augen flamm
ten, ihre Stimme bebte, er hatte sie seit langem nie mehr so schön und leidenschaftlich gesehen, aber er empfand nur Trauer.
Inzwischen gingen die Grenzüberfälle und Friedensbrüche weiter, erst die große Regenzeit setzte ihnen vorläufig ein Ende. An Dasas Hofe aber gab es jetzt zwei Parteien. Die eine, die Friedenspartei, war ganz klein, außer Dasa selbst gehörten ihr nur wenige von den älteren Brahmanen an, gelehrte und in ihre Meditationen versponnene Männer. Die Kriegspartei aber, Pravatis und Gopalas Partei, hatte die Mehrzahl der Priester und alle Offiziere auf ihrer Seite. Man rüstete eifrig und wußte, daß drüben der feindliche Nachbar dasselbe tat. Der Knabe Ravana wurde vom Oberjäger im Bogenschießen unterrichtet, und seine Mutter nahm ihn zu jeder Truppenschau mit. Manchmal gedachte zu jener Zeit Dasa des Waldes, in dem er einst als armer Flüchtling eine Weile gelebt hatte, und des weißhaarigen Alten, der dort als Einsiedler der Versenkung lebte. Manchmal gedachte er seiner und fühlte das Verlangen, ihn aufzusuchen, ihn wiederzusehen und seinen Rat zu hören. Doch wußte er nicht, ob der Alte noch lebe, noch ob er ihn anhören und ihm Rat geben würde, und lebte er auch noch wirklich und gäbe ihm Rat, so würde doch alles seinen Gang gehen und nichts daran zu ändern sein. Versenkung und Weisheit waren gute, waren edle Dinge, aber es schien, sie gedie
hen nur abseits, am Rande des Lebens, und wer im Strom des Lebens schwamm und mit seinen Wellen kämpfte,
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