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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sämtliche Patres, Lehrer und Schüler unsres Klosters abfragen wollten und auch noch die der letzten paar Generationen dazu, es würde nicht einer diesen Namen wissen.«
    »Auch in Kastalien wüßten ihn wenige, vielleicht keiner außer mir und zweien meiner Freunde. Ich war einmal mit Studien aus dem achtzehnten Jahrhundert und dem Bereich des Pietismus beschäftigt, zu einem privaten Zwecke nur, und da sind ein paar schwäbische Theologen mir aufgefallen und gewannen meine Bewunderung und Ehrfurcht, und unter ihnen besonders dieser Bengel, er schien mir damals das Ideal eines Lehrers und Jugendleiters zu sein. Ich war so von diesem Mann eingenommen, daß ich mir sogar ein Bildnis aus einem alten Buche photographieren ließ und es eine Zeitlang über meinem Schreibtisch angeheftet hatte.«
    Der Pater lachte noch immer. »Wir begegnen uns da unter einem ungewöhnlichen Zeichen«, sagte er. »Es ist ja schon merkwürdig, daß Sie und ich beide bei unsern Studien auf diesen vergessenen Mann
gestoßen sind. Vielleicht noch merkwürdiger ist es, daß es diesem schwäbischen Protestanten gelungen ist, fast gleichzeitig auf einen Benediktinerpater und einen kastalischen Glasperlenspieler zu wirken. Übrigens stelle ich mir Ihr Glasperlenspiel als eine Kunst vor, zu der es vieler Phantasie bedarf, und wundere mich, daß ein so streng nüchterner Mann wie Bengel Sie so sehr anziehen konnte.«
    Auch Knecht lachte jetzt vergnügt. »Nun«, sagte er, »wenn Sie sich an Bengels vieljährige Studien über die Offenbarung des Johannes und sein Auslegungssystem für die Prophezeiungen dieses Buches erinnern, so müssen Sie doch zugeben, daß unsrem Freunde auch der Gegenpol der Nüchternheit nicht ganz fremd war.«
    »Das stimmt«, gab der Pater heiter zu. »Und wie erklären Sie sich solche Gegensätze?«
    »Wenn Sie mir einen Scherz erlauben wollen, so würde ich sagen: was Bengel gefehlt hat und was er, ohne es zu wissen, sehnlich gesucht und begehrt hat, war das Glasperlenspiel. Ich rechne ihn nämlich zu den heimlichen Vorläufern und Ahnen unsres Spiels.«
    Vorsichtig und wieder ernst geworden, fragte Jakobus: »Ein wenig kühn, scheint mir, gerade Bengel für Ihre Ahnentafel zu annektieren. Und wie rechtfertigen Sie das?«
    »Es war ein Spaß, aber ein Spaß, der sich verteidi
gen läßt. Noch in seinen jungen Jahren, ehe die große Bibelarbeit ihn beschäftigte, hat Bengel einmal seinen Freunden den Plan mitgeteilt, er hoffe in einem enzyklopädischen Werk alles Wissen seiner Zeit symmetrisch und synoptisch auf ein Zentrum hin zu ordnen und zusammenzufassen. Das ist nichts andres, als was das Glasperlenspiel auch tut.«
    »Es ist der enzyklopädische Gedanke, mit dem das ganze achtzehnte Jahrhundert gespielt hat«, rief der Pater.
    »Er ist es«, meinte Josef, »aber Bengel hat nicht bloß ein Nebeneinander der Wissens- und Forschungsgebiete angestrebt, sondern ein Ineinander, eine organische Ordnung, er war unterwegs auf der Suche nach dem Generalnenner. Und das ist einer der elementaren Gedanken des Glasperlenspiels. Und ich möchte noch mehr behaupten, nämlich: wäre Bengel im Besitz eines ähnlichen Systems gewesen, wie unser Spiel eines ist, so wäre ihm wahrscheinlich der große Irrweg mit seiner Umrechnung der prophetischen Zahlen und seiner Verkündigung des Antichrist und des Tausendjährigen Reiches erspart geblieben. Bengel fand für die verschiedenen Begabungen, die er in sich vereinigte, die ersehnte Richtung auf ein gemeinsames Ziel nicht ganz, und so ergab seine mathematische Begabung, in der Zusammenarbeit mit seinem Philologenscharfsinn, jene wunderlich aus Akribie und Phantastik gemischte ›Zei
ten-Ordnung‹, die ihn so manche Jahre beschäftigt hat.«
    »Es ist schon gut«, meinte Jakobus, »daß Sie nicht Historiker sind, Sie neigen wirklich zum Phantasieren. Aber ich verstehe, wie Sie es meinen; Pedant bin ich nur in meiner Fachwissenschaft.«
    Es wurde ein ergiebiges Gespräch, ein Sich-Erkennen der beiden, eine Art von Befreundung daraus. Dem Gelehrten schien es mehr als Zufall, oder mindestens doch ein recht besonderer Zufall, daß sie beide, er aus seiner benediktinischen, der Junge aus seiner kastalischen Gebundenheit her, diesen Fund getan und diesen armen württembergischen Klosterpräzeptor entdeckt hatten, diesen ebenso herzenszarten wie felsenfesten, ebenso versponnenen wie nüchternen Mann; es mußte etwas da sein, was sie beide verband, auf die derselbe unscheinbare Magnet so stark

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