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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Annehmlichkeiten seiner Gastrolle seinen Aufenthalt schon zuweilen beinahe wie eine Strafversetzung empfunden. Nun geschah es eines Tages, daß ihm in einer Unterhaltung mit dem Abte absichtslos eine Anspielung auf das chinesische I Ging unterlief; der Abt horchte auf, stellte einige Fragen, und als er seinen Gast so über Erwarten bewandert im Chinesischen und im Buch der Wandlungen fand, konnte er
seine Freude nicht verhehlen. Er hatte eine Vorliebe für das I Ging, und wenn er auch kein Chinesisch verstand und sein Wissen um das Orakelbuch und andre chinesische Geheimnisse von jener harmlosen Oberflächlichkeit war, mit welcher die derzeitigen Insassen dieses Klosters in fast allen ihren wissenschaftlichen Interessen sich zu begnügen schienen, so war doch wohl zu merken, daß der kluge und im Vergleich mit seinem Gast so erfahrene und weltkundige Mann zum Geist der altchinesischen Staats- und Lebensweisheit wirklich ein Verhältnis habe. Es ergab sich ein Gespräch von ungewohnter Lebhaftigkeit, das die bisher zwischen Hausherrn und Gast bestehende höfliche Haltung zum erstenmal durchbrach und dazu führte, daß Knecht gebeten wurde, dem ehrwürdigen Herrn zweimal in der Woche eine I-Ging-Lektion zu erteilen.
    Während so sein Verhältnis zum Abt und Gastgeber sich ins Lebendigere und Wirksame steigerte, die kollegiale Freundschaft mit dem Organisten gedieh und der kleine geistliche Staat, in dem er lebte, ihm allmählich vertraut wurde, begann auch die Versprechung des Orakels, das er vor der Abreise aus Kastalien befragt hatte, sich der Erfüllung zu nähern. Es war ihm, dem seinen Besitz bei sich tragenden Wanderer, nicht nur die Einkehr in einer Herberge verheißen worden, sondern auch »eines jungen Dieners Beharrlichkeit«. Daß die Verheißung sich zur Erfüllung
entfaltete, durfte der Wanderer als ein gutes Zeichen annehmen, als ein Zeichen dafür, daß er wirklich »seinen Besitz bei sich trage«, daß er auch fern von den Schulen, Lehrern, Kameraden, Gönnern und Helfern, fern von der heimatlichen, nährenden und hilfreichen Atmosphäre Kastaliens den Geist und die Kräfte in sich gesammelt trage, mit deren Hilfe er einem tätigen und wertvollen Leben entgegenging. Der angekündigte »junge Diener« nämlich näherte sich ihm in Gestalt eines geistlichen Schülers namens Anton, und wenn dieser junge Mensch auch in Josef Knechts Leben selber keine Rolle gespielt hat, so war er doch damals in jener eigentümlich zwiespältig gestimmten ersten Klosterzeit ein Hinweis, ein Bote zu Neuem und Größerem, ein Ansager kommender Ereignisse. Anton, ein schweigsamer, aber feurig und begabt blickender Jüngling, schon nahezu reif, um in den Kreis der Mönche aufgenommen zu werden, begegnete dem Glasperlenspieler, dessen Herkunft und Kunst ihm so geheimnisvoll war, ziemlich häufig, während im übrigen die kleine Schülerschar in ihrem abgesonderten und für den Gast nicht zugänglichen Flügel ihm nahezu unbekannt blieb und ihm sichtlich ferngehalten wurde. Die Teilnahme am Spielkursus war den Schülern nicht erlaubt. Dieser Anton aber hatte mehrmals in der Woche Dienst als Bibliotheksgehilfe; hier begegnete ihm Knecht, gelegentlich war es auch zu einem Gespräch gekommen, und
mehr und mehr bemerkte Knecht, daß dieser junge Mensch mit den dunkelkräftigen Augen unter starken schwarzen Brauen ihm in jener schwärmerischen und dienstbereiten Art von verehrender Jünglings- und Schülerliebe zugetan war, welche ihm nun oft genug schon begegnet war und welche er längst, obwohl er jedesmal Lust fühlte, sich ihr zu entziehen, als ein lebendiges und wichtiges Element im Ordensleben erkannt hatte. Hier im Kloster beschloß er, doppelt zurückhaltend zu sein; es wäre ihm wie ein Verstoß gegen die Gastfreundschaft erschienen, wenn er diesen noch der geistlichen Erziehung unterstehenden Jüngling hätte beeinflussen wollen; auch war ihm ja das strenge Keuschheitsgebot, unter welchem man hier stand, wohl bekannt, und ihm schien, dadurch könnte eine knabenhafte Verliebtheit noch gefährlicher werden. Jedenfalls mußte er jede Möglichkeit eines Anstoßes vermeiden und richtete sich danach.
    In der Bibliothek, dem einzigen Ort, an dem er jenem Anton des öftern begegnete, machte er auch die Bekanntschaft eines Mannes, den er anfangs seiner bescheidenen Erscheinung wegen beinahe übersehen hatte, den er dann mit der Zeit genauer kennenlernte und zeitlebens mit einer dankbaren Verehrung geliebt hat wie nur etwa noch den

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