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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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die Knecht seinen Freunden damals brieflich mitteilte, sei noch eines als charakteristisch aufgenommen.
    »Die großen Männer sind für die Jugend die Rosinen im Kuchen der Weltgeschichte, sie gehören auch
zu deren eigentlicher Substanz, gewiß, und es ist gar nicht so einfach und leicht, wie man meinen sollte, die wirklich Großen von den Scheingroßen zu unterscheiden. Bei den Scheingroßen ist es der historische Augenblick und dessen Erraten und Anpacken, was den Schein der Größe gibt; es fehlt ja auch nicht an Historikern und Biographen, geschweige denn Journalisten, denen dies Erraten und Erfassen eines geschichtlichen Augenblicks, will sagen: der momentane Erfolg, schon als ein Kennzeichen der Größe erscheint. Der Korporal, der von heut auf morgen Diktator wird, oder die Kurtisane, die es für eine Weile dazu bringt, über die gute oder böse Laune eines Weltherrschers zu regieren, sind Lieblingsfiguren solcher Historiker. Und ideal gesinnte Jünglinge lieben, umgekehrt, am meisten die tragisch Erfolglosen, die Märtyrer, die um einen Augenblick zu früh oder zu spät Gekommenen. Für mich, der ich ja freilich vor allem ein Historiker unseres benediktinischen Ordens bin, sind das Anziehendste, Erstaunlichste und Studierenswerteste in der Weltgeschichte nicht die Personen und nicht die Coups und Erfolge oder Untergänge, sondern meine Liebe und unersättliche Neugierde gilt solchen Erscheinungen, wie unsre Kongregation eine ist, jenen sehr langlebigen Organisationen, in welchen der Versuch gemacht wird, vom Geist und der Seele her Menschen zu sammeln, zu erziehen und umzuformen, sie durch Erziehung, nicht
durch Eugenik, durch den Geist, nicht durchs Blut zu einem Adel zu machen, der zum Dienen wie zum Herrschen befähigt ist. Mich hat in der Geschichte der Griechen nicht der Sternhimmel von Heroen und nicht das aufdringliche Geschrei der Agora gefesselt, sondern Versuche wie die der Pythagoreer oder der Platonischen Akademie, bei den Chinesen keine andre Erscheinung so sehr wie die Langlebigkeit des konfuzianischen Systems, und in unserer abendländischen Geschichte ist es vor allem die christliche Kirche und sind es die ihr dienenden und eingebauten Orden, die mir als geschichtliche Werte ersten Ranges erscheinen. Daß ein Abenteurer einmal Glück hat und ein Reich erobert oder begründet, das dann zwanzig oder fünfzig oder sogar einmal hundert Jahre dauert, oder daß ein wohlmeinender Idealist von König oder Kaiser einmal eine redlichere Art von Politik anstrebt oder einen kulturellen Wunschtraum zu verwirklichen sucht, daß einmal unter hohem Druck ein Volk oder eine andre Gemeinschaft Unerhörtes zu leisten und zu dulden fähig war, das alles ist mir längst nicht so interessant, als daß immer wieder der Versuch zu solchen Gebilden gemacht wurde, wie unser Orden eines ist, und daß einige dieser Versuche sich tausend und zweitausend Jahre erhalten konnten. Von der heiligen Kirche selbst will ich nicht reden, sie steht für uns Gläubige oberhalb der Diskussion. Aber daß Kongregationen
wie die der Benediktiner, der Dominikaner, später der Jesuiten und so weiter manche Jahrhunderte alt geworden sind und nach all den Jahrhunderten noch, trotz allen Entwicklungen, Entartungen, Anpassungen und Vergewaltigungen, ihr Gesicht und ihre Stimme, ihre Gebärde, ihre individuelle Seele bewahrt haben, das ist für mich das merkwürdigste und ehrwürdigste Phänomen der Geschichte.«
    Knecht bewunderte den Pater auch noch in seinen zornigen Ungerechtigkeiten. Dabei hatte er damals noch keine Ahnung davon, wer Pater Jakobus wirklich war, er sah in ihm lediglich einen profunden und genialen Gelehrten und wußte noch nicht, daß er außerdem ein Mann war, der selber mit Bewußtsein in der Weltgeschichte stand und sie mitgestalten half, der führende Politiker seiner Kongregation und der von vielen Seiten um Auskunft, Rat, Vermittlung angegangene Kenner der politischen Geschichte und politischen Gegenwart. Etwa zwei Jahre, bis zu seinem ersten Urlaub, verkehrte Knecht mit dem Pater lediglich als mit einem Gelehrten und kannte von dessen Leben, Tätigkeit, Ruf und Einfluß bloß die eine, ihm zugekehrte Seite. Dieser gelehrte Herr verstand zu schweigen, auch noch in der Freundschaft, und seine Brüder im Kloster verstanden es ebenfalls besser, als Josef ihnen zugetraut hätte.
    Nach etwa zwei Jahren hatte Knecht sich im Kloster so vollkommen eingelebt, als ein Gast und Au
ßenseiter das irgend konnte. Er war je und

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