Das Glasperlenspiel
können. Tegularius war, wie die meisten einsamen Genies, ein Vorläufer. Er lebte tatsächlich in einem Kastalien, das noch nicht da war, aber morgen da sein konnte, in einem nach der Welt hin noch abgeschlossenem, innerlich durch Alterung und Lockerung der meditativen Ordensmoral
entartenden Kastalien, einer Welt, in welcher noch immer die höchsten Geistesflüge und die versunkenste Hingabe an hohe Werte möglich waren, wo aber eine hochentwickelte und frei
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spielende Geistigkeit keine Ziele mehr hatte als den Selbstgenuß ihrer hochgezüchteten Fähigkeiten. Tegularius bedeutete für Knecht zugleich die Verkörperung höchster kastalischer Fähigkeiten und das mahnende Vorzeichen für deren
Demoralisierung und Untergang. Es war wunderbar und
köstlich, daß es diesen Fritz gab. Aber die Auflösung Kastaliens in ein von lauter Tegulariussen bevölkertes Traumreich mußte verhindert werden. Die Gefahr, daß es dazu kommen könnte, war noch fern, aber sie war vorhanden. Das Kastalien, wie Knecht es kannte, brauchte nur die Mauern seiner vornehmen Isoliertheit noch ein wenig höher zu bauen, es brauchte nur ein Verfall der Ordenszucht, ein Sinken der hierarchischen Moral hinzuzukommen, so war Tegularius kein wunderlicher Einzelner mehr, sondern der Repräsentant eines entartenden und niedergehenden Kastaliens. Daß die Möglichkeit, ja der Beginn oder eine Disponiertheit zu solchem Verfall vorhanden sei, diese wichtigste Erkenntnis und Sorge des Magisters Knecht wäre ihm vermutlich weit später oder am Ende nie gekommen, hätte nicht neben ihm, und von ihm aufs genaueste gekannt, dieser Zukunftskastalier gelebt; er war für Knechts wachen Sinn ein Symptom und Mahnruf, wie es für einen klugen Arzt der erste von einer noch unbekannten Krankheit Befallene wäre. Und Fritz war ja kein Durchschnittsmensch, er war ein Aristokrat, eine Begabung von hohen Graden. Würde die noch unbekannte, im Vorläufer Tegularius zum erstenmal sichtbar gewordene Krankheit einmal um sich greifen und das Bild des kastalischen Menschen andern, würden Provinz und Orden einmal die entartete, kranke Gestalt annehmen, so würden diese
Zukunftskastalier nicht lauter Tegulariusse sein, sie würden nicht seine köstlichen Gaben, seine melancholische Genialität, seine flackernde Artistenleidenschaft besitzen, sondern die Mehrzahl von ihnen würde nur seine Unzuverlässigkeit, seinen Hang zur Verspieltheit, seinen Mangel an Zucht und
Gemeinsinn haben. In sorgenvollen Stunden mag Knecht solche
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düstern Visionen und Vorahnungen gehabt haben, deren Bewältigung teils durch Versenkung, teils durch erhöhte Tätigkeit ihn gewiß viel Kraft gekostet hat.
Gerade der Fall Tegularius zeigt uns auch ein besonders schönes und lehrreiches Beispiel für die Art, wie Knecht das ihm begegnende Problematische, Schwierige und Krankhafte, ohne ihm auszuweisen, zu bewältigen bemüht war. Ohne seine Wachsamkeit, Fürsorge und erzieherische Leitung wäre nicht nur sein gefährdeter Freund wahrscheinlich früh zugrunde gegangen, es wäre außerdem ohne Zweifel durch ihn zu endlosen Störungen und Unzuträglichkeiten in der
Spielersiedlung gekommen, an welchen es schon seit dessen Zugehörigkeit zur Spielerelite keineswegs gefehlt hatte. Die Kunst, mit welcher der Magister nicht nur seinen Freund leidlich im Geleise zu halten, sondern auch seine Gaben im Dienst des Glasperlenspiels zu verwenden und zu edlen Leistungen zu steigern wußte, die Behutsamkeit und Geduld, mit welcher er dessen Launen und Wunderlichkeiten ertrug und mit dem unermüdlichen Appell an das Wertvolle in seinem Wesen überwand, müssen wir als ein Meisterstück der
Menschenbehandlung bewundern. Es wäre übrigens eine schöne und vielleicht zu überraschenden Einsichten führende Aufgabe -
und wir möchten sie einem unsrer Historiker des
Glasperlenspiels ernstlich ans Herz legen-, einmal
diejahresspiele der Amtszeit Knechts in ihrer stilistischen Eigenheit genau zu studieren und ihre Analyse zu geben, diese würdevollen und dabei von köstlichen Einfällen und
Formulierungen funkelnden, diese glänzenden, rhythmisch so originellen und doch allem selbstgefälligen Virtuosentum so fernen Spiele, deren Grundplan und Aufbau ebenso wie die Führung der Meditationsfolge ausschließlich Knechts geistiges Eigentum war, während die Ziselierung und spieltechnische Kleinarbeit größtenteils von seinem Mitarbeiter Tegularius stammte. Diese Spiele könnten verlorengegangen und
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