Das Glasperlenspiel
vergessen
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sein, ohne daß das Leben und die Tätigkeit Knechts darum für die Nachlebenden allzuviel von ihrer Anziehungs- und Beispielkraft verlieren würde. Sie sind jedoch nicht verloren, zu unsrem Glück, sie sind aufgezeichnet und aufbewahrt wie alle offiziellen Spiele, und sie liegen nicht nur tot im Archiv, sondern leben noch heute in der Überlieferung fort, werden von jungen Studenten studiert, liefern beliebte Beispiele für manchen Spielkurs und manches Seminar. Und in ihnen lebt auch jener Mitarbeiter fort, der sonst vergessen wäre oder doch nichts wäre als eine seltsame, in manchen Anekdoten noch spukhaft umgehende Figur der Vergangenheit. So hat Knecht, indem er seinem so schwer einzureihenden Freunde Fritz dennoch einen- Platz und ein Wirkungsfeld anzuweisen verstand, das Geistesgut und die Geschichte Waldzells um etwas Wertvolles bereichert und hat zugleich der Gestalt und dem Andenken dieses Freundes eine gewisse Dauer gesichert. Wir erinnern nebenbei daran, daß bei seinen Bemühungen um den Freund der große Erzieher sich des wichtigsten Mittels solcher erzieherischen Beeinflussung durchaus bewußt war. Dies Mittel war des Freundes Liebe und Bewunderung. Diese Bewunderung und Liebe, diese Schwärmerei für Knechts starke und
harmonische Persönlichkeit, für sein Herrentum, hat der Magister bei Fritz nicht nur, sondern noch bei vielen seiner Mitstrebenden und Schüler recht wohl gekannt und hat stets mehr auf ihr als auf seiner hohen Amtswürde die Autorität und Macht aufgebaut, die er trotz seines gütigen und konzilianten Wesens auf so viele ausgeübt hat. Er fühlte genau, was ein freundliches Wort der Ansprache oder der Anerkennung, und was ein Sichentziehen, ein Nichtbeachten wirken könne. Einer seiner eifrigsten Schüler hat viel später einmal erzählt, Knecht habe einst eine Woche lang im Kurs und im Seminar kein Wort mit ihm gesprochen, ihn scheinbar nicht gesehen, ihn als Luft behandelt, and das sei in allen den Jahren seiner Schülerschaft die bitterste und wirksamste Strafe gewesen, die er erlebt habe.
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Wir haben diese Betrachtungen und Rückblicke für notwendig gehalten, um den Leser unsres biographischen Versuchs an dieser Stelle zum Verständnis der beiden polar wirkenden Grundtendenzen in Knechts Persönlichkeit zu führen und ihn, nachdem er unsrer Beschreibung bis auf dessen Lebenshöhe gefolgt ist, auf die letzten Phasen dieses reichen Lebenslaufes vorzubereiten. Die beiden Grundtendenzen oder Pole dieses Lebens, sein Yin und Yang, waren die Tendenz zum Bewahren, zur Treue, zum selbstlosen Dienst an der Hierarchie, und andrerseits die Tendenz zum »Erwachen«, zum Vordringen, zum Greifen und Begreifen der Wirklichkeit. Für den gläubigen und dienstbereiten Josef Knecht war der Orden, war Kastalien und das Glasperlenspiel etwas Heiliges und unbedingt Wertvolles; für den erwachenden, hellsichtigen,
vorwärtsdringenden waren sie, ihres Wertes ungeachtet, gewordene, erkämpfte, in ihren Lebensformen wandelbare, der Gefahr der Alterung, des Sterilwerdens und Verfalls ausgesetzte Gestaltungen, deren Idee ihm stets unantastbar heilig blieb, deren jeweilige Zustände er jedoch als vergänglich und der Kritik bedürftig erkannt hatte. Er diente einer geistigen Gemeinschaft, deren Kraft und Sinn er bewunderte, deren Gefahr aber er in ihrer Neigung sah, sich als reinen Selbstzweck zu betrachten, ihrer Aufgabe und Mitarbeit am Ganzen des Landes und der Welt zu vergessen und schließlich in einer glänzenden, aber mehr und mehr zur Unfruchtbarkeit
verurteilten Abspaltung vom Ganzen des Lebens zu
verkommen. Diese Gefahr hatte er in jenen frühen Jahren vorgeahnt, da er immer wieder gezögert und davor gebangt hatte, sich ganz dem Glasperlenspiel zu verschreiben, sie war ihm in den Diskussionen mit den Mönchen und namentlich mit dem Pater Jakobus, so tapfer er Kastalien gegen sie verteidigte, immer eindringlicher zum Bewußtsein gekommen und, seit er wieder in Waldzell lebte und Magister Ludi geworden war, beständig in handgreiflichen Symptomen bemerkbar geworden,
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in der treuen, aber weitabgewandten und rein formalen Arbeitsweise vieler Amtsstellen und seiner eigenen Beamten, in dem geistreichen, aber hochmü tigen Spezialistentum seiner Waldzeller Repetentenschaft und nicht zuletzt in der ebenso rührenden wie erschreckenden Gestalt seines Tegularius. Nach Absolvierung seines schweren ersten Amtsjahres, dem er nichts an Zeit und Privatleben abzugewinnen
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