Das Glasperlenspiel
dauerndes Interesse galt nicht nur der großen Begabung des Freundes, es galt ebensosehr dessen Fehlern, seiner Kränklichkeit, es galt gerade dem, was den andern Waldzellern an Tegularius störend und oft unleidlich war.
Dieser wunderliche Mensch war so sehr Kastalier, seine ganze Art zu existieren wäre außerhalb der Provinz undenkbar gewesen und hatte deren Atmosphäre und Bildungshöhe so sehr zur Voraussetzung, daß man, wäre nur eben seine Schwierigkeit und Wunderlichkeit nicht gewesen, ihn geradezu als einen Erzkastalier hätte bezeichnen können. Und dennoch paßte dieser Erzkastalier schlecht zu seinen Kameraden, war so wenig bei ihnen wie bei den Vorgesetzten und Beamten beliebt, störte beständig, gab immerzu Anstoß und wäre ohne den Schutz und die Führung durch seinen tapfern und klugen Freund
wahrscheinlich früh zugrunde gegangen. Was man seine
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Krankheit nannte, war schließlich vorwiegend ein Laster, eine Unbotmäßigkeit, ein Charakterfehler, nämlich eine im tiefsten unhierarchische, völlig individualistische Gesinnung und Lebensführung; er fügte sich gerade nur soweit in die bestehende Ordnung ein, als notwendig war, um im Orden überhaupt geduldet zu werden. Er war insofern ein guter, ja glänzender Kastalier, als er ein vielseitiger, in der Gelehrsamkeit ebenso wie in der Glasperlenspielkunst unermüdlich und unersättlich fleißiger Geist war; aber ein sehr mittelmäßiger, ja schlechter Kastalier war er im Charakter, in der Einstellung zur Hierarchie und zur Ordensmoral. Das größte seiner Laster war ein dauerndes Leichtnehmen und Vernachlässigen der
Meditation, deren Sinn ja die Einordnung des Individuums ist und deren gewissenhafte Pflege ihn sehr wohl von seiner Nervenkrankheit hätte heilen können, denn im kleinen und einzelnen tat sie es jedesmal, wenn er nach einer Periode schlechter Führung und aufgeregten oder melancholischen Wesens von den Oberen strafweise zu strengen
Meditationsübungen unter Aufsicht gezw ungen wurde, ein Mittel, zu welchem auch der wohlwollende und schonende Knecht des öftern hat greifen müssen. Nein, Tegularius war ein eigenwilliger, launischer, zur ernstlichen Einordnung nicht gewillter Charakter, immer wieder zwar von lebendiger Geistigkeit und in angeregten Stunden bezaubernd, wo sein pessimistischer Witz sprühte und keiner sich der Kühnheit und oft düstern Pracht seiner Hinfalle entziehen konnte, aber er war im Grunde unheilbar, denn er wollte gar nicht geheilt sein, er gab nichts auf Harmonie und Einordnung, er liebte nichts als seine Freiheit, sein ewiges Studententum, und zog es vor, lebenslänglich der Leidende, der Unberechenbare und störrische Einzelgänger zu sein, der geniale Narr und Nihilist, statt den Weg der Einordnung in die Hierarchie zu gehen und zum Frieden zu gelangen. Er hielt nichts vom Frieden, er gab nichts auf die Hierarchie, er machte sich wenig aus Tadel und
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Vereinsamung. Ein höchst unbequemer und unverdaulicher Bestand also in einer Gemeinschaft, deren Ideal Harmonie und Ordnung ist! Aber eben in dieser Schwierigkeit und
Unverdaulichkeit war er inmitten einer so geklärten und geordneten kleinen Welt eine beständige lebendige Unruhe, ein Vorwurf, eine Mahnung und Warnung, ein Anreger zu neuen, kühnen, verbotenen, vermessenen Gedanken, ein bockiges, unartiges Schaf in der Herde. Und dies, meinen wir, war es, wodurch er trotz allem diesen Freund gewann. Gewiß hat in Knechts Verhältnis zu ihm stets auch das Mitleid eine Rolle gespielt, der Appell des Gefährdeten und meist Unglücklichen an alle ritterlichen Gefühle des Freundes.
Aber dies hätte nicht genügt, auch nach Knechts Erhebung zur Meisterwürde, inmitten eines mit Arbeit, Pflichten und Verantwortung überladenen Amtslebens, dieser Freundschaft das Leben zu fristen. Wir sind der Auffassung, daß in Knechts Leben dieser Tegularius nicht minder notwendig und wichtig war, als Designori und der Pater in Mariafels es waren, und zwar war er es gleich jenen beiden als ein weckendes Element, als ein offenes Fensterchen nach neuen Ausblicken hin. In diesem so merkwürdigen Freunde hat Knecht, wie wir glauben, den Vertreter eines Typus erspürt und mit der Zeit auch bewußt erkannt, eines Typus, der noch nicht vorhanden war außer in dieser einzigen Vorläufergestalt, den Typus des Kastaliers nämlich, wie er einmal werden könnte, wenn nicht durch neue Begegnungen und Impulse das Leben Kastaliens sollte verjüngt und gekräftigt werden
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