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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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vermochte, kehrte er nun auch zu geschichtlichen Studien zurück, er versenkte sich zum ersten Male offenen Auges in die Geschichte Kastaliens und gewann dabei die Überzeugung, daß es mit ihm nicht so stehe, wie das Selbstbewußtsein der Provinz meinte, daß namentlich ihre Beziehungen zur Außenwelt, die Wechselwirkung zwischen ihr und dem Leben, der Politik, der Bildung des Landes seit Jahrzehnten im Rückgang begriffen seien. Zwar sprach die Erziehungsbehörde in Angelegenheiten des Schul- und
    Bildungswesens noch ihr Wort im Bundesrate mit, zwar versorgte die Provinz das Land noch immer mit guten Lehrern und übte in allen Fragen der Gelehrsamkeit ihre Autorität; doch hatte dies alles den Charakter der Gewohnheit und des Mechanismus angenommen. Seltener und weniger eifrig
    meldeten sich junge Männer aus den verschiedenen Eliten Kastaliens freiwillig zum Schuldienst extra muros, selten mehr wandten sich Behörden und einzelne im Lande ratsuchend an Kastalien, dessen Stimme in früheren Zeiten zum Beispiel auch bei wichtigen Gerichtsverhandlungen gern zugezogen und gehört worden war. Verglich man das Bildungsniveau
    Kastaliens mit dem des Landes, so sah man, daß sie keineswegs sich einander näherten, vielmehr in fataler Weise
    auseinanderstrebten: je gepflegter, differenzierter, überzüchteter die kastalische Geistigkeit wurde, desto mehr neigte die Welt dazu, die Provinz Provinz sein zu lassen und sie, statt als eine Notwendigkeit und ein tägliches Brot, als einen Fremdkörper zu betrachten, auf den man zwar ein wenig stolz war wie auf eine altertümliche Kostbarkeit, den man vorläufig auch gar nicht
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    hätte weggeben und entbehren mögen, von dem man sich aber gern in Distanz hielt und dem man, ohne genau Bescheid zu wissen, eine Mentalität, eine Moral und ein Selbstgefühl zutraute, welche ins wirkliche und tätige Leben nicht recht mehr paßten. Das Interesse der Mitbürger für das Leben der pädagogischen Provinz, ihre Teilnahme an deren Einrichtungen und namentlich auch am Glasperlenspiel, war ebenso im Rückgang begriffen wie die Teilnahme der Kastalier am Leben und Schicksal des Landes. Daß hier der Fehler liege, war ihm längst klargeworden, und daß er als Glasperlenspielmeister in seinem Spielerdorf es ausschließlich mit Kastaliern und Spezialisten zu tun hatte, war ihm ein Kummer. Daher sein Bestreben, sich immer mehr den Anfängerkursen zu widmen, sein Wunsch, möglichst junge Schüler zu haben - je jünger sie waren, desto mehr waren sie noch mit dem Ganzen der Welt und des Lebens verbunden, desto weniger waren sie dressiert und spezialisiert. Oft spürte er ein brennendes Verlangen nach Welt, nach Menschen, nach naivem Leben - falls dies dort draußen im Unbekannten noch vorhanden war. Etwas von dieser Sehnsucht und diesem Gefühl von Leere, von Leben in allzu verdünnter Luft ist ja den meisten von uns je und je spürbar geworden, und auch der Erziehungsbehörde ist ja diese Schwierigkeit bekannt, wenigstens hat sie immer von Zeit zu Zeit nach Mitteln gesucht, ihr zu begegnen und durch vermehrte Pflege körperlicher Übungen und Spiele wie durch Versuche mit mancherlei Handwerks- und Gartenarbeiten den Mangel auszugleichen.
    Wenn wir richtig beobachtet haben, besteht bei der
    Ordensleitung in neuerer Zeit auch eine Tendenz zum Abbau mancher als überzüchtet empfundenen Spezialitäten im Wissenschaftsbetriebe, und zwar zugunsten einer Intensivierung der Meditationspraxis. Man braucht kein Skeptiker und Schwarzseher und kein schlechter Ordensbruder zu sein, um Josef Knecht recht zu geben, wenn er schon eine geraume Zeit vor uns den komplizierten und empfindlichen Apparat unsrer
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    Republik als einen alternden und der Erneuerung in mancher Hinsicht bedürftigen Organismus erkannte.
    Wir finden ihn, wie erwähnt, von seinem zweiten Amtsjahre an wieder geschichtlichen Studien zugewendet, und zwar war er außer mit der kastalischen Geschichte hauptsächlich mit der Lektüre aller der großen und kleinern Arbeiten beschäftigt, welche Pater Jakobus über den benediktinischen Orden verfaßt hatte. Mit Herrn Dubois und einem der Philologen von Keuperheim, welcher bei den Sitzungen der Behörde als Sekretär stets zugegen war, fand er auch Gelegenheit, diese historischen Interessen im Gespräch ausschwingen oder neu anregen zu lassen, was ihm stets eine willkommene Erfrischung und Freude war.
    In seiner täglichen Umgebung allerdings fehlte diese Gelegenheit, und wahrhaft verkörpert

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