Das Glasperlenspiel
unter; er fand sich weder als strafbar noch als krank noch sonst irgendwie außerhalb der Ordnung gestellt behandelt, und war doch nicht krank genug gewesen, um diese angenehme Atmosphäre nicht zu schätzen und den sich bietenden Rückweg ins Leben zu benützen. Zwar wurde er in den mehreren Wochen seines Aufenthaltes dem Magister noch lästig genug, der ihm durch die stets kontrollierte Scheinbeschäftigung mit Aufzeichnungen über die letzten musikalischen Übungen und Studien seines Meisters eine Aufgabe zuwies und ihn daneben planmäßig im Archiv zu kleinen Handlangerdiensten anhalten ließ; man bat ihn, wenn seine Zeit es erlaube, ein wenig mit Hand anzulegen, man sei gerade stark beschäftigt und habe Mangel an
Hilfskräften.
Kurz, man half dem Entgleisten wieder auf den Weg; erst als er ruhig geworden und sichtlich willens war, sich einzuordnen, begann Knecht in kurzen Gesprächen ihn auch unmittelbar erzieherisch zu beeinflussen und ihm vollends den Wahn zu nehmen, es sei sein Götzenkult mit dem Verstorbenen eine heilige und eine in Kastalien mögliche Sache. Da er seine Furcht vor der Rückkehr nach Monteport aber nicht überwinden konnte, verschaffte man ihm, da er geheilt schien, den Auftrag, als Gehilfe des Musiklehrers an eine der unteren Eliteschulen zu gehen, wo er sich auch respektabel hielt.
Es ließe sich noch manches Beispiel für die erzieherische und seelenärztliche Tätigkeit Knechts anführen, und an jungen Studierenden, welche durch die sanfte Gewalt seiner
Persönlichkeit in ähnlicher Weise für ein Leben in echt kastalischem Geiste gewonnen wurden, wie einst Knecht selbst durch den Musikmeister, ist kein Mangel.
Alle diese Beispiele zeigen uns den Magister Ludi nicht als
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einen irgend problematischen Charakter, sie alle sind Zeugnisse der Gesundheit und des Gleichgewichts. Nur scheint die liebevolle Bemühung des Ehrwürdigen um labile und gefährdete Charaktere wie Petrus oder Tegularius auf eine besondere Wachheit und Feinfühligkeit für solche Erkrankungen oder Anfälligkeiten des kastalischen Menschen hinzudeuten, eine vom ersten Erwachen an nie wieder beruhigte und
eingeschlafene Aufmerksamkeit für die Probleme und Gefahren, welche im kastalischen Leben selbst liegen. Diese Gefahren aus Leichtsinn und Bequemlichkeit nicht sehen zu wollen, wie der wohl größere Teil unserer Mitbürger es tut, lag seinem he llen und mutigen Wesen fern, und vermutlich ist die Taktik der meisten seiner Kollegen in der Behörde, welche das
Vorhandensein dieser Gefahren zwar kennen, sie aber
grundsätzlich als nicht existent behandeln, niemals die seine gewesen. Er sah und kannte sie, oder doch manche von ihnen, und seine Vertrautheit mit der Frühgeschichte Kastaliens ließ ihm das Leben inmitten dieser Gefahren als einen Kampf erscheinen und ließ ihn dieses Leben in der Gefahr bejahen und lieben, während so viele Kastalier ihre Gemeinschaft und das Leben in ihr lediglich als ein Idyll auffassen. Auch aus des Paters Jakobus Werken über den Benediktinerorden war ihm die Vorstellung des Ordens als einer militanten Gemeinschaft und der Frömmigkeit als einer kämpferischen Haltung vertraut.
»Es gibt«, so hat er einmal gesagt, »kein adliges und erhöhtes Leben ohne das Wissen um die Teufel und Dämonen und ohne den beständigen Kampf gegen sie.«
Ausgesprochene Freundschaften zwischen den Inhabern der höchsten Ämter kommen bei uns äußerst selten vor, und so wundern wir uns nicht darüber, daß Knecht in den ersten Amtsjahren mit keinem seiner Kollegen ein solches Verhältnis gepflegt hat. Große Sympathien hatte er für den Altphilologen in Keuperheim und eine tiefe Hochachtung vor der Ordensleitung, aber in dieser Sphäre ist das Persönliche und Private so nahezu
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völlig ausgeschaltet und objektiviert, daß über die amtliche Zusammenarbeit hinaus kaum ernstliche Annäherungen und Befreundungen möglich sind. Und doch sollte er auch dies noch erleben.
Uns steht das Geheimarchiv der Erziehungsbehörde nicht zur Verfügung; über die Haltung und Tätigkeit Knechts bei deren Sitzungen und Abstimmungen wissen wir nur, was sich aus seinen gelegentlichen Äußerungen gegen Freunde schließen läßt. Er scheint die Schweigs amkeit seiner ersten Magisterzeit in diesen Sitzungen zwar nicht immer beibehalten zu haben, aber doch nur selten rednerisch aufgetreten zu sein, außer wenn er selbst Initiant und Antragsteller war. Ausdrücklich bezeugt ist die Schnelligkeit, mit
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