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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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beraubt erschienen und hatte ihn enttäuscht.
    Man war verlegen und kühl auseinandergegangen. Jetzt schien er wieder ein ganz anderer. Vor allem schien er seine Jugend und Munterkeit, seine Freude am Mitteilen, Streiten, Austauschen, sein aktives, werbendes, nach außen gekehrtes Wesen völlig abgelegt oder verloren zu haben.
    So, wie er bei der Begegnung den einstigen Freund nicht auf sich aufmerksam gemacht und nicht als erster begrüßt, so, wie er noch nach der Nennung ihrer Namen den Magister nicht mit du angeredet hatte und auf die herzliche Aufforderung dazu nur widerstrebend eingegangen war, so war auch in seiner Haltung,
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    seinem Blick, seiner Sprechweise, seinen Gesichtszügen und Bewegungen an die Stelle der früheren Angriffslust, Offenheit und Beschwingtheit eine Verhaltenheit oder Gedrücktheit getreten, ein Sichsparen und Sichzurückhalten, eine Art Bann oder Krampf, oder auch vielleicht nur Müdigkeit. Darin war der Jugendzauber ertrunken und erloschen, aber nicht minder die Züge von Oberflächlichkeit und allzu derber Wehlichkeit, auch sie waren nicht mehr da. Der ganze Mann, vor allem aber sein Gesicht, schien jetzt gezeichnet, zum Teil zerstört, zum Teil geadelt, durch den Ausdruck des Leidens.
    Und während der Glasperlenspielmeister den Verhandlungen folgte, blieb ein Teil seiner Aufmerksamkeit stets bei dieser Erscheinung und zwang ihn, darüber zu sinnen, was für eine Art von Leiden es wohl sein möge, das diesen lebhaften, schönen und lebensfrohen Mann so beherrschte und so gezeichnet hatte.
    Es schien ein fremdes, ein ihm unbekanntes Leiden zu sein, und je mehr sich Knecht diesem suchenden Sinnen hingab, desto mehr fühlte er sich in Sympathie und Teilnahme zu diesem Leidenden hingezogen, ja es sprach bei diesem Mitleid und dieser Liebe leise ein Gefühl mit, als sei er diesem so traurig aussehenden Freund seiner Jugend etwas schuldig geblieben, als habe er etwas an ihm gutzumachen. Nachdem er über die Ursache von Plinios Traurigkeit manche Vermutung gefaßt und wieder aufgegeben hatte, kam ihm der Gedanke: das Leid in diesem Gesicht sei nicht gemeiner Herkunft, es sei ein edles, vielleicht tragisches Leid, und sein Ausdruck sei von einer in Kastalien unbekannten Art, er erinnerte sich, einen ähnlichen Ausdruck zuweilen auf nichtkastalischen, auf
    Weltmenschengesichtern gesehen zu haben, freilich niemals so stark und fesselnd. Auch auf Bildnissen von Menschen der Vergangenheit kannte er Ähnliches, auf Bildnissen von manchen Gelehrten oder Künstlern, von welchen eine rührende, halb krankhafte, halb schicksalhafte Trauer, Vereinsamung und Hilflosigkeit abzulesen war. Für den Magister, der ein so zartes
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    Künstlergefühl für die Geheimnisse des Ausdrucks und ein so waches Erziehergefühl für Charaktere besaß, gab es schon längst gewisse physiognomische Kennzeichen, welchen er, ohne ein System daraus zu machen, instinktiv vertraute; so gab es für ihn zum Beispiel eine speziell kastalische und eine speziell weltliche Art von Lachen, Lächeln und Heiterkeit, und ebenso eine speziell weltliche Art von Leiden und Traurigkeit. Diese Welttraurigkeit nun glaubte er auf Designoris Gesicht zu erkennen, und zwar so stark und rein ausgedrückt, als habe dies Gesicht die Bestimmung, Stellvertreter von vielen zu sein und das geheime Leiden und Kranksein vieler sichtbar zu machen.
    Er war von diesem Gesicht beunruhigt und ergriffen. Es schien ihm nicht nur bedeutungsvoll, daß die Welt seinen verlorengegangenen Freund nun hierher geschickt habe und daß Plinio und Josef, wie einst in ihren Schüler-Redekämpfen, so jetzt wirklich und gültig der eine die Welt, der andre den Orden vertrete; noch wichtiger und symbolhafter wollte es ihm erscheinen, daß in diesem einsamen und von Trauer beschatteten Angesicht die Welt nun einmal nicht ihr Lachen, ihre Lebenslust, ihre Machtfreude, ihre Derbheit nach Kastalien entsandt habe, sondern ihre Not, ihr Leiden. Auch das gab ihm zu denken und mißfiel ihm keineswegs, daß Designori ihn eher zu meiden als zu suche n schien und sich nur langsam und unter großen Widerständen ergab und erschloß. Übrigens, und das kam Knecht natürlich zu Hilfe, war sein Schulkamerad, selber in Kastalien erzogen, kein schwieriges, verdrossenes oder gar geradezu übelwollendes Mitglied seiner für Kastalien so wichtigen Kommission, wie man sie auch schon erlebt hatte, sondern gehörte zu den Verehrern des Ordens und Gönnern der Provinz, welcher er manchen

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