Das Glasperlenspiel
Sinnbilder der Klarheit und Ordnung. Nicht dort ist die Tiefe der Welt und ihrer Geheimnisse, wo die Wolken und die Schwärze sind, die Tiefe ist im Klaren und Heiteren. Wenn ich dich bitten darf: blicke vor dem Schlafengehen noch eine Weile in diese Buchten und Meerengen mit den vielen Sternen und weise die Gedanken oder Träume nicht ab, die dir dabei etwa kommen.«
Eine eigentümlich zuckende Empfindung, ungewiß, ob Weh oder Glück, regte sich in Plinios Herzen. Mit ähnlichen Worten, so erinnerte er sich, war er einstmals, vor unausdenklich langer Zeit, in der schönen heitern Frühe seines Waldzeller Schülerlebens zu den ersten Meditationsübungen ermahnt worden.
»Und erlaube mir noch ein Wort«, fing der
Glasperlenspielmeister wieder mit leiser Stimme an. »Ich möchte dir gerne noch etwas über die Heiterkeit sagen, über die der Sterne und die des Geistes, und auch über unsre kastalische Art von Heiterkeit. Du hast eine Abneigung gegen die Heiterkeit, vermutlich weil du einen Weg der Traurigkeit hast gehen müssen, und nun scheint dir alle Helligkeit und gute Laune, und namentlich unsre kastalische, seicht und kindlich, auch feige, eine Flucht vor den Schrecken und Abgründen der Wirklichkeit in eine klare, wohlgeordnete Welt bloßer Formen und Formeln, bloßer Abstraktionen und Abgeschliffenheiten.
Aber, mein lieber Trauriger, mag es diese Flucht auch geben, mag es an feigen, furchtsamen, mit bloßen Formeln spielenden Kastaliern nicht fehlen, ja sollten sie bei uns sogar in der Mehrzahl sein- dies nimmt der echten Heiterkeit, der des Himmels und der des Geistes, nichts von ihrem Wert und Glanz.
Den Leichtzufriedenen und Scheinheiteren unter uns stehen andere gegenüber, Menschen und Generationen von Menschen,
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deren Heiterkeit nicht Spiel und Oberfläche, sondern Ernst und Tiefe ist. Einen habe ich gekannt, es war unser ehemaliger Musikmeister, den du einst in Waldzell auch je und je gesehen hast; dieser Mann hat in seinen letzten Lebensjahren die Tugend der Heiterkeit in solchem Maße besessen, daß sie von ihm ausstrahlte wie das Licht von einer Sonne, daß sie als Wohlwollen, als Lebenslust, als gute Laune, als Vertrauen und Zuversicht auf alle überging und in allen weiterstrahlte, die ihren Glanz ernstlich aufgenommen und in sich eingelassen hatten. Auch ich bin von seinem Licht beschienen worden, auch mir hat er von seiner Helligkeit und seinem Herzensglanz ein wenig mitgeteilt, und ebenso unsrem Ferromonte, und noch manchem andern. Diese Heiterkeit zu erreichen, ist mir, und vielen mit mir, das höchste und edelste aller Ziele. Audi bei einigen Vätern der Ordensleitung findest du sie. Diese Heiterkeit ist weder Tändelei noch Selbstgefälligkeit, sie ist höchs te Erkenntnis und Liebe, ist Bejahen aller Wirklichkeit, Wachsein am Rand aller Tiefen und Abgründe, sie ist eine Tugend der Heiligen und der Ritter, sie ist unstörbar und nimmt mit dem Alter und der Todesnähe nur immer zu. Sie ist das Geheimnis des Schöne n und die eigentliche Substanz jeder Kunst. Der Dichter, der das Herrliche und Schreckliche des Lebens im Tanzschritt seiner Verse preist, der Musiker, der es als reine Gegenwart erklingen läßt, ist Lichtbringer, Mehrer der Freude und Hel- ligkeit auf Erden, auch wenn er uns erst durch Tränen und schmerzliche Spannung führt. Vielleicht ist der Dichter, dessen Verse uns entzücken, ein trauriger Einsamer und der Musiker ein schwermütiger Träumer gewesen, aber auch dann hat sein Werk teil an der Heiterkeit der Götter und der Sterne.
Was er uns gibt, das ist nicht mehr sein Dunkel, sein Leiden oder Bangen, es ist ein Tropfen reinen Lichtes, ewiger Heiterkeit. Auch wenn ganze Völker und Sprachen die Tiefe der Welt zu ergründen suchen, in Mythen, Kosmogonien,
Religionen, ist das Letzte und Höchste, was sie erreichen
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können, diese Heiterkeit. Du erinnerst dich der alten Inder, unser Waldzeller Lehrer hat einst schön von ihnen erzählt: ein Volk des Leidens, des Grübelns, des Büßens, der. Askese; aber die letzten großen Funde seines Geistes waren licht und heiter, heiter das Lächeln der Weltüberwinder und Buddhas, heiter die Gestalten seiner abgründigen Mythologien. Die Welt, wie diese Mythen sie darstellen, beginnt in ihrem Anfange göttlich, selig, strahlend, frühlingsschön, als goldenes Zeitalter; sie erkrankt sodann und verkommt mehr und mehr, sie verroht und
verelendet, und am Ende von vier immer tiefer sinkenden Weltzeitaltern ist sie reif
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