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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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wichtig ist und daß wir jenen tapferen Lehrern dort draußen es ganz gern überlassen, durch ihre hin- gebende Arbeit unsre Schuld an die Welt abzutragen und uns
    Glasperlenspielern, Astronomen, Musikanten und
    Mathematikern den Genuß unsrer Privilegien gewissermaßen zu rechtfertigen. Mit dem schon besprochenen Hochmut und Kastengeist hängt es zusammen, daß wir uns nicht eben stark darum sorgen, ob wir unsre Privilegien auch durch Leistung verdienen, ja daß nicht wenige von uns sogar auf die ordensmäßige Enthaltsamkeit unserer materiellen
    Lebensführung sich etwas einbilden, als sei sie eine Tugend und werde rein um ihrer selbst willen geübt, während sie doch das Minimum an Gegenleistung dafür ist, daß das Land uns unser kastalisches Dasein ermöglicht.
    Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf diese inneren Schäden und Gefahren, sie sind nicht unbedenklich, obwohl sie bei ruhigen Zeiten unsre Existenz noch lange nicht gefährden würden. Nun sind wir Kastalier aber nicht nur von unsrer Moral und Vernunft abhängig, sondern ganz wesentlich auch vom Zustand des Landes und dem Willen des Volkes. Wir essen unser Brot, benutzen unsre Bibliotheken, bauen unsre Schulen und Archive aus - aber wenn das Volk keine Lust mehr hat, uns dies zu ermöglichen, oder wenn das Land durch Verarmung, Krieg usw. dazu unfähig wird, dann ist es im selben Augenblick mit unsrem Leben und Studieren zu Ende. Daß unser La nd sein Kastalien und unsre Kultur eines Tages als einen Luxus werde betrachten, den es sich nicht mehr erlauben könne, ja sogar daß es uns, statt wie bisher gutmütig stolz auf uns zu sein, eines Tages als Schmarotzer und Schädlinge, ja als Irrlehrer und Feinde empfinden werde - das sind die Gefahren, die uns von außen drohen.
    Wenn ich versuchen wollte, einem Durchschnittskastalier diese Gefahren vor Augen zu stellen, müßte ich es wohl vor allem durch Beispiele aus der Geschichte tun, und ich würde
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    dabei auf einen gewissen passiven Widerstand, auf eine gewisse fast kindlich zu nennende Unwissenheit und Teilnahmslosigkeit stoßen. Das Interesse für Weltgeschichte ist bei uns Kastaliern, Ihr wisset es, äußerst schwach, ja es fehlt den meisten von uns nicht nur am Interesse, sondern sogar, möchte ich sagen, an Gerechtigkeit gegen die Historie, an Achtung vor ihr. Diese aus Gleichgültigkeit und Überhebung gemischte Abneigung gegen die Beschäftigung mit der Weltgeschichte hat mich des öfteren zur Untersuchung gereizt, und ich habe gefunden, daß sie zwei Ursachen hat. Erstens scheinen uns die Inhalte der Historie - ich spreche natürlich nicht von der Geistes- und Kulturgeschichte, die wir ja sehr pflegen - etwas minderwertig; die Weltgeschichte besteht, soweit wir eine Ahnung von ihr haben, aus brutalen Kämpfen um Macht, um Güter, um Länder, um Rohstoffe, um Geld, kurz um Materielles und Quantitatives, um Dinge, die wir als ungeistig und eher verächtlich ansehen. Für uns ist das siebzehnte Jahrhundert die Epoche von Descartes, Pascal, Froberger, Schütz, nicht die von Cromwell oder Ludwig XIV.
    Der zweite Grund unserer Scheu vor der Welthiscorie besteht in unsrem ererbten und großenteils, wie ich meine, berechtigten Mißtrauen gegen eine gewisse Art der Geschichtsbetrachtung und Geschichtsschreibung, welche im Verfallszeitalter vor der Gründung unseres Ordens sehr beliebt war und zu der wir von vorneherein nicht das mindeste Zu trauen haben: der
    sogenannten Geschichtsphilosophie, deren geistvollste Blüte und zugleich gefährlichste Wirkung wir bei Hegel finden, die aber in dem auf ihn folgenden Jahrhundert bis zu der widerlichsten Geschichtsverfälschung und Demoralisierung des Wahrheitssinnes führte. Die Vorliebe für die sogenannte Geschichtsphilosophie gehört für uns zu den Hauptkennzeichen jener Epoche geistigen Tiefstandes und politischer
    Machtkämpfe größten Umfangs, die wir zuweilen das
    »kriegerische Jahrhundert«, meistens aber die »feuilletonistische Epoche« nennen. Auf den Trümmern jener Epoche, aus der
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    Bekämpfung und Überwindung ihres Geistes - oder Ungeistes -
    entstand unsre jetzige Kultur, entstanden der Orden und Kastalien. Nun hängt es mit unsrem geistigen Hochmut zusammen, daß wir der Weltgeschichte, namentlich der neueren, beinahe so gegenüberstehen, wie etwa der Asket und Eremit des älteren Christentums dem Welttheater gegenüberstand. Die Geschichte scheint uns ein Tummelplatz der Triebe und der Moden, der Begehrlichkeit, der Habgier und

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