Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Märtyrer, sowohl unter den Gelehrten wie unter den Religiösen, und es ist ihr Martyrium und Vorbild selbst in jener an Greuel gewöhnten Zeit nicht ohne Wirkung geblieben.
    Immerhin - die meisten Vertreter des Geistes ertrugen den Druck jener Gewaltepoche nicht. Die einen ergaben sich und stellten ihre Gaben, Kenntnisse und Methoden den Machthabern zur Verfügung; bekannt ist der Ausspruch eines damaligen Hochschulprofessors in der Republik der Massageten:
    »Was zweimal zwei ist, hat nicht die Fakultät zu bestimmen, sondern unser Herr General.« Andre wieder machten
    Opposition, solange sie dies auf einem halbwegs geschützten Räume tun konnten, und erließen Proteste. Ein weltberühmter Autor soll damals - wir lesen es bei Ziegenhalß - in einem einzigen Jahre über zweihundert solche Proteste, Mahnungen, Appelle an die Vernunft usw. unterzeichnet haben, mehr vielleicht, als er wirklich gelesen hatte. Die meisten aber lernten das Schweigen, sie lernten auch das Hungern und Frieren, auch das Betteln und das Sichverbergen vor der Polizei, sie starben vorzeitig, und wer gestorben war, wurde von den Überlebenden
    -386-
    darum beneidet. Unzählige haben Hand an sich gelegt. Es war wirklich kein Vergnügen und keine Ehre mehr, ein Gelehrter oder Literat zu sein: wer sich in den Dienst der Machthaber und der Schlagworte stellte, der hatte zwar Amt und Brot, aber auch die Verachtung der Besten unter seinen Kollegen und doch wohl meistens ein recht schlechtes Gewissen; wer diesen Dienst verweigerte, mußte hungern, mußte vogelfrei leben und im Elend oder Exil sterben. Es wurde da eine grausame, eine unerhört harte Auslese veranstaltet. Nicht nur die Forschung, soweit sie nicht Macht- und Kriegszwecken dienstbar war, kam rasch in Verfall, sondern auch der Schulbetrieb. Vor allem die Weltgeschichte, von jeder der jeweils führenden Nationen ausschließlich auf sich selbst bezogen, wurde unendlich vereinfacht und umgedichtet, Geschichtsphilosophie und Feuilleton herrschten bis in die Schulen hinein.
    Genug der Einzelheiten. Es waren heftige und wilde Zeiten, chaotische und babylonische Zeiten, in welchen Völker und Parteien, Alt und Jung, Rot und Weiß einander nicht mehr verstanden. Das Ende davon war, nach genügender Ausblutung und Verelendung, die immer mächtigere Sehnsucht aller nach Besinnung, nach Wiederfindung einer gemeinsamen Sprache, nach Ordnung, nach Sitte, nach gültigen Maßen, nach einem Alphabet und Einmaleins, das nicht mehr von Machtinteressen diktiert und jeden Augenblick abgeändert würde. Es entstand ein ungeheures Bedürfnis nach Wahrheit und Recht, nach Vernunft, nach Überwindung des Chaos. Dieses Vakuum am Ende einer gewalttätigen und ganz nach außen gerichteten Epoche, diese unsäglich dringend und flehentlich gewordene Sehnsucht aller nach einem Neubeginn und einer Ordnung ist es gewesen, der wir unser Kastalien und unser Dasein verdanken. Die winzig kleine, tapfere, halbverhungerte, aber unbeugsam gebliebene Schar der wahrhaft Geistigen begann sich ihrer Möglichkeiten bewußt zu werden, begann in asketischheroischer Selbstzucht sich eine Ordnung und Konstitution zu geben, begann überall in
    -387-
    kleinen und kleinsten Gruppen wieder zu arbeiten, aufzuräumen mit den Schlagworten, und ganz von unten auf wieder eine Geistigkeit, einen Unterricht, eine Forschung, eine Bildung aufzubauen. Der Bau ist gelungen, er ist aus seinen
    ärmlichheldischen Anfängen langsam zu einem Prachtbau gewachsen, hat in einer Reihe von Generationen den Orden, die Erziehungsbehörde, die Eliteschulen, die Archive und Sammlungen, die Fachschulen und Seminare, das
    Glasperlenspiel geschaffen, und wir sind es, die heute als Erben und Nutznießer in dem beinahe allzu prachtvollen Gebäude wohnen. Und, es sei nochmals gesagt, wir wohnen darin als ziemlich ahnungslose und ziemlich bequem gewordene Gäste, wir wollen nichts mehr wissen von den ungeheuren
    Menschenopfern, über welchen unsre Grundmauern errichtet sind, nichts von den leidvollen Erfahrungen, deren Erben wir sind, und nichts von der Weltgeschichte, welche unseren Bau errichtet oder geduldet hat, welche uns trägt und duldet und vielleicht noch manche Kastalier und Magister nach uns Heutigen, welche aber einmal unsern Bau wieder stürzen und verschlingen wird, wie sie alles wieder stürzt und verschlingt, was sie hat wachsen lassen.
    Ich kehre aus der Historie zurück, und das Ergebnis, die Anwendung auf heute und auf uns ist diese: unser System und

Weitere Kostenlose Bücher