Das Glasperlenspiel
Lässigen unter uns leben, als natürlich und erträglich ist.
Schon weniger einwandfrei steht es bei uns mit dem
Ordensdünkel, dem Standeshochmut, zu welchem jeder Adel, jede privilegierte Stellung verführt und welche denn auch jedem Adel, bald mit, bald ohne Berechtigung, vorgeworfen zu werden pflegt.
In der Gesellschaftsgeschichte geht es stets um den Versuch der Adelsbildung, sie ist deren Spitze und Krone, und irgendeine
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Art von Aristokratie, von Herrschaft der Besten, scheint das eigentliche, wenn auch nicht immer zugegebene Ziel und Ideal aller Versuche der Gesellschaftsbildung zu sein. Stets hat die Macht, sei es eine monarchische oder eine anonyme, sich bereit finden lassen, einen entstehenden Adel durch Protektion und Privilegien zu fördern, sei es nun ein politischer oder ein anderer Adel, einer der Geburt oder einer der Auslese und Erziehung.
Stets ist der begünstigte Adel unter dieser Sonne erstarkt, stets ist ihm das Stehen in der Sonne und das Privilegiertsein aber von einer gewissen Entwicklungsstufe an zur Versuchung geworden und hat zu seiner Korruption geführt. Wenn wir unseren Orden nun als Adel betrachten und uns daraufhin zu prüfen versuchen, wieweit unser Verhalten zum Ganzen des Volkes und der Welt unsere Sonderstellung rechtfertige, wieweit etwa die charakteristische Adelskrankheit, die Hybris, der Dünkel, der Standeshochmut, die Besserwisserei, das
undankbare Nutznießertum, uns schon ergriffen habe und beherrsche, dann können uns manche Bedenken kommen. Es mag dem heutigen Kastalier an Gehorsam gegen die
Ordensgesetze, an Fleiß, an kultivierter Geistigkeit nicht fehlen; aber fehlt es ihm nicht oft recht sehr an Einsicht in seine Einordnung in das Volksgefüge, in die Welt, in die
Weltgeschichte?
Hat er ein Bewußtsein vom Fundament seiner Existenz, weiß er sich als Blatt, als Blüte, Zweig oder Wurzel einem lebenden Organismus angehören, ahnt er etwas von den Opfern, die das Volk ihm bringt, indem es ihn ernährt und kleidet und ihm seine Schulung und seine mannigfachen Studien ermöglicht? Und kümmert er sich viel um den Sinn unsrer Existenz und Sonderstellung, hat er eine wirkliche Vorstellung vom Zweck unseres Ordens und Lebens? Ausnahmen zugegeben, viele und rühmliche Ausnahmen - ich neige dazu, auf alle diese Fragen nein zu antworten. Der Durchschnittskastalier betrachtet den Weltmann und Ungelehrten vielleicht ohne Verachtung, ohne
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Neid, ohne Gehässigkeit, aber er betrachtet ihn nicht als Bruder, er sieht in ihm nicht seinen Brotgeber, noch fühlt er sich im geringsten mitverantwortlich für das, was da draußen in der Welt geschieht. Zweck seines Lebens scheint ihm die Pflege der Wissenschaften um ihrer selbst willen oder auch nur das genußvolle Spazierengehen im Garten einer Bildung, die sich gern als eine universale gebärdet, ohne es doch so ganz zu sein.
Kurz, diese kastalische Bildung, eine hohe und edle Bildung, gewiß, der ich tief dankbar bin, ist in den meisten ihrer Besitzer und Vertreter nicht Organ und Instrument, nicht aktiv und auf Ziele gerichtet, nicht bewußt einem Größeren oder Tieferen dienstbar, sondern neigt ein wenig zum Selbstgenuß und Selbstlob, zur Ausbildung und Hochzüchtung geistiger Spezialitäten. Ich weiß, daß es eine große Anzahl integrer undhöchst wertvoller Kastalier gibt, welche wirklich nichts als dienen wollen, es sind die bei uns erzogenen Lehrer, namentlich jene, welche draußen im Lande, fern von dem angenehmen Klima und den geistigen Verwöhnungen unsrer Provinz, an den weltlichen Schulen einen entsagungsreichen, aber unschätzbar wichtigen Dienst tun.
Diese braven Lehrer dort draußen sind, ganz streng
genommen, eigentlich die einzigen von uns, welche den Zweck Kastaliens wirklich erfüllen und durch deren Arbeit wir dem Lande und Volk das viele Gute heimzahlen, das es an uns tut.
Daß unsre oberste und heiligste Aufgabe darin besteht, dem Lande und der Welt ihr geistiges Fundament zu erhalten, das sich auch als ein moralisches Element von höchster
Wirksamkeit bewährt hat: nämlich den Sinn für die Wahrheit, auf dem unter andrem auch das Recht beruht - dies weiß zwar jeder von uns Ordensbrüdern sehr wohl, aber bei einiger Selbstprüfung müßten die meisten von uns sich gestehen, daß ihnen das Wohl der Welt, die Erhaltung der geistigen Redlichkeit und Reinlichkeit auch außerhalb unsrer so schön sauber gehaltenen Provinz durchaus nicht das Wichtigste, ja
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überhaupt nicht
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