Das Glasperlenspiel
empfangen, geduldig und liebevoll zuzuhören, dadurch der noch nicht fertig gestalteten Beichte vollends zur Gestalt zu verhelfen, das in den Seelen Gestaute oder Verkrustete zum Fluß und Abströmen einzuladen, es aufzunehmen und in Schweigen einzuhüllen. Nur daß er am Ende einer jeden Beichte, der schrecklichen wie der harmlosen, der zerknirschten wie der eitlen, den Beichtenden neben sich knien ließ und das Vaterunser betete und ihn, ehe er ihn entließ, auf die Stirn küßte. Bußen und Strafen zu ver- hängen, war nicht seines Amtes, auch zum Aussprechen einer eigentlichen priesterlichen Absolution fühlte er sich nicht ermächtigt, es war weder das Richten noch das Vergeben der Schuld seine Sache.
Indem er zuhörte und verstand, schien er Mitschuld auf sich zu nehmen, schien tragen zu helfen. Indem er schwieg, schien er das Gehörte versenkt und der Vergangenheit übergeben zu haben. Indem er mit dem Beichtkind nach seiner Beichte betete, schien er es als Bruder und seinesgleichen aufzunehmen und anzuerkennen. Indem er ihn küßte, schien er ihn auf eine mehr brüderliche als priesterliche, auf eine mehr zärtliche als feierliche Art zu segnen.
Sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Umgebung von Gaza, man kannte ihn weitum und nannte ihn gelegentlich sogar mit dem verehrten, großen Beichtvater und Eremiten Dion Pugil zusammen, dessen Ruf allerdings schon um zehn Jahre älter war und auf ganz anderen Fähigkeiten beruhte, denn Vater Dion war gerade dadurch berühmt, daß er in den Seelen, die sich ihm
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anvertrauten, noch schärfer und rascher zu lesen verstand als in den ausgesprochenen Worten, so daß er einen zögernd
Beichtenden nicht selten dadurch überraschte, daß er ihm seine noch nicht gebeichteten Sünden auf den Kopf zusagte.
Dieser Seelenkenner, von welchem Josef hundert erstaunliche Geschichten hatte erzählen hören und mit welchem er sich selbst niemals zu vergleichen gewagt hätte, war auch ein begnadeter Berater irrender Seelen, war ein großer Richter, Bestrafer und Ordner: er auferlegte Bußen, Kasteiungen und Wallfahrten, stiftete Ehen, zwang Verfeindete zur Aussöhnung, und seine Autorität war gleich der eines Bischofs. Er lebte in der Nähe von Askalon, wurde aber von Bittstellern sogar aus Jerusalem, ja aus noch ferner gelegenen Orten aufgesucht.
Josephus Famulus hatte gleich den meisten Eremiten und Büßern lange Jahre eines leidenschaftlichen und aufreibenden Kampfes durchgemacht. Hatte er auch sein Weltleben verlassen, hatte er seine Habe und sein Haus weggegeben und die Stadt mit ihren vielfältigen Einladungen zur Welt- und Sinnenlust verlassen, so hatte er doch sich selbst mitnehmen müssen, und es waren in ihm alle Triebe des Leibes und der Seele vorhanden, welche einen Menschen in Not und Versuchung führen können.
Er hatte zunächst vor allem den Leib bekämpft, er war streng und hart mit ihm gewesen, hatte ihn an Hitze und Kälte, an Hunger und Durst, an Narben und Schwielen gewöhnt, bis er langsam abgewelkt und abgedorrt war, aber auch noch in der hageren Asketenhülle konnte ihn der alte Adam durch die unsinnigsten
Begierden und Gelüste, Träume und
Vorgaukelungen schmählich überraschen und ärgern; wir wissen ja, daß den Weltflüchtigen und Büßern der Teufel eine ganz besondere Sorgfalt widmet. Als sodann gelegentlich
Trostsuchende und Beichtbedürftige ihn aufgesucht hatten, erkannte er darin dankbar einen Ruf der Gnade und empfand zugleich darin eine Erleichterung seines Büßerlebens: er hatte einen über ihn selbst hinausweisenden Sinn und Inhalt
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bekommen, ein Amt war ihm erteilt worden, er konnte anderen dienen oder konnte Gott als Werkzeug dienen, um Seelen zu sich zu ziehen. Dies war ein wunderbares und wahrhaft erhebendes Gefühl gewesen. Aber im Fortgang hatte es sich gezeigt, daß auch die Güter der Seele noch dem Irdischen angehören und zu Versuchungen und Fallstricken werden können. Oft nämlich, wenn solch ein Wanderer gegangen oder geritten kam, vor seiner Felsengrotte halt- machte, um einen Schluck Wasser und hernach um das Anhören seiner Beichte bat, dann beschlich unsern Josef ein Gefühl von Befriedigung und Wohlgefallen, einem Wohlgefallen an sich selbst, einer Eitelkeit und Selbstliebe, über welche er, sobald er sie erkannte, tief erschrak.
Nicht selten bat er Gott auf den Knien um Vergebung und bat ihn darum, daß kein Beichtkind mehr zu ihm, dem Unwürdigen, kommen möge, nicht aus den Hütten der büßenden
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