Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
endlich tief zerknirscht und erschüttert, indem ihm aus dem Abstand, den ihm die wenigen Meilen der Wanderung gaben, sein jüngst vergangenes Leben sichtbar wurde und ins Bewußtsein trat, das verzweifelte und gehetzte Leben eines
    -537-
    alternden Mannes, der sein Ziel verfehlt hat und beständig von der gräßlichen Versuchung gepeinigt war, sich am Ast eines Baumes zu erhängen wie der Verräter des Heilands. Wenn es ihm vor dem freiwilligen Tode so sehr graute, so spukte in diesem Grauen freilich auch noch ein Rest von vorzeitlichem, vorchristlichem, altheidnischem Wissen, Wissen um den uralten Brauch des Menschenopfers, zu dem der König, der Heilige, der Auserwählte des Stammes ausersehen war, und das er nicht selten mit eigener Hand zu vollziehen gehalten war. Nicht nur daß dieser verpönte Brauch aus heidnischen Vorzeiten herüberklang, machte ihn so grauenerregend, sondern noch mehr der Gedanke, daß am Ende der vom Erlöser am Kreuz erlittene Tod auch nichts anderes war als ein freiwillig vollzogenes Menschenopfer.
    Und in der Tat: wenn er sich recht besann, so war eine Ahnung dieses Bewußtseins schon in jenen Regungen der Begierde nach Selbstmord vorhanden gewesen, ein trotzigböser, wilder Drang, sich selber zu opfern und damit eigentlich auf unerlaubte Weise den Erlöser nachzuahmen - oder auf unerlaubte Weise anzudeuten, daß Jenem sein Erlösungswerk nicht so ganz gelungen sei. Er erschrak tief bei diesem Gedanken, fühlte aber auch, daß er jener Gefahr nun entronnen sei.
    Lange betrachtete er diesen Büßer Josef, zu dem er geworden war und welcher jetzt, statt dem Judas oder auch dem Gekreuzigten nachzufolgen, die Flucht ergriffen und sich damit von neuem in Gottes Hand gegeben hatte.
    Scham und Bekümmerung wuchsen in ihm an, je deutlicher er die Hölle erkannte, der er entlaufen war, und am Ende drängte das Elend sich wie ein würgender Bissen in seiner Kehle, wuchs zu unerträglichem Drang und fand plötzlich Abschluß und Erlösung in einem Ausbruch von Tränen, der ihm wunderbar wohltat. O wie lange hatte er nicht mehr weinen können! Die Tränen flössen, die Augen vermochten nichts mehr zu sehen,
    -538-
    aber das tödliche Würgen war gelöst, und als er zu sich kam und den Salzgeschmack auf seinen Lippen fühlte und wahrnahm, daß er weine, war ihm einen Augenblick, als sei er wieder ein Kind geworden und wisse nichts von Argem. Er lächelte, er schämte sich ein wenig seines Weinens, stand endlich auf und setzte seine Wanderung fort. Er fühlte sich unsicher, wußte nicht, wohin seine Flucht führen und was mit ihm werden solle, wie ein Kind kam er sich vor, aber es war kein Kampf und Wollen mehr in ihm, er fühlte sich leichter und wie geführt, wie von einer fernen guten Stimme gerufen und gelockt, als wäre seine Reise nicht eine Flucht, sondern eine Heimkehr. Er wurde müde, und die Vernunft auch, sie schwieg oder ruhte sich aus oder kam sich entbehrlich vor.
    An der Tränkestelle, wo Josef übernachtete, rasteten einige Kamele; da der kleinen Reisegesellschaft auch zwei Frauen angehörten, begnügte er sich mit einer Grußgebärde und vermied ein Gespräch. Dafür konnte er, nachdem er beim Dunkelwerden einige Datteln verzehrt, gebetet und sich niedergelegt hatte, die leise Unterhaltung zwischen zwei Männern, einem alten und einem jüngeren, mit anhören, denn sie lagen in seiner nächsten Nähe. Es war nur ein Stückchen ihres Zwiegesprächs, das er hören konnte, der Rest wurde nur noch geflüstert. Aber auch dies kleine Bruchstück nahm seine Aufmerksamkeit und Teilnahme in Anspruch und gab ihm für die halbe Nacht zu denken.
    »Schon gut«, hörte er die Stimme des Alten sagen, »schon gut, daß du zu einem frommen Mann gehen und beichten willst.
    Diese Leute verstehen allerhand, sage ich dir, sie können mehr als bloß Brot essen, und mancher von ihnen ist zauberkundig.
    Wenn er einem anspringenden Löwen nur ein Wörtchen zuruft, so duckt er sich, der Räuber, zieht den Schwanz ein und schleicht sich davon.
    Sie können Löwen zahm machen, sage ich dir; einem von ihnen, der ein besonders heiliger Mann war, haben sogar seine
    -539-
    zahmen Löwen das Grab gegraben, als er gestorben war, haben die Erde wieder hübsch über ihm zusammengescharrt, und lange Zeit haben immer zwei von ihnen Tag und Nacht an seinem Grab die Wacht gehalten. Und nicht bloß Löwen verstehen sie zahm zu kriegen, diese Leute. Einer von ihnen hat einmal einen römischen Zenturionen, ein grausames Biest

Weitere Kostenlose Bücher