Das Glasperlenspiel
man dem Anschein nach mit einem sehr bescheidenen Maß an Spielkenntnissen zufrieden war. Und im Gefolge dieser Einsicht kam ihm langsam auch die andere: daß es wohl gar nicht die Glasperlenspielkunst und deren Pflege im Kloster sei, deretwegen man ihn hierhergeschickt habe.
Die Aufgabe, diese paar dem Spiele läßlich zugeneigten Patres im Elementaren etwas zu fördern und ihnen die Befriedigung einer bescheidenen Sportleistung zu verschaffen, war leicht, allzu leicht, und es wäre ihr jeder beliebige andre Spielkandidat, auch wenn er längst noch nicht der Elite angehörte, gewachsen gewesen. Dieser Unterricht also konnte nicht der eigentliche Zweck seiner Mission sein. Er begann zu begreifen, daß man ihn wohl weniger zum Lehren
hierhergeschickt habe als zum Lernen.
Allerdings, gerade als er dies durchschaut zu haben meinte, erfuhr seine Autorität im Kloster doch wieder eine plötzliche Stärkung und damit auch sein Selbstbewußtsein, denn er hatte trotz allen Reizen und Annehmlichkeiten seiner Gastrolle seinen Aufenthalt schon zuweilen beinahe wie eine Strafversetzung empfunden. Nun geschah es eines Tages, daß ihm in einer Unterhaltung mit dem Abte absichtslos eine Anspielung auf das chinesische I Ging unterlief; der Abt horchte auf, stellte einige
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Frage n, und als er seinen Gast so über Erwarten bewandert im Chinesischen und im Buch der Wandlungen fand, konnte er seine Freude nicht verhehlen. Er hatte eine Vorliebe für das I Ging, und wenn er auch kein Chinesisch verstand und sein Wissen um das Orakelbuch und andre chinesische Geheimnisse von jener harmlosen Oberflächlichkeit war, mit welcher die derzeitigen Insassen dieses Klosters in fast allen ihren wissenschaftlichen Interessen sich zu begnügen schienen, so war doch wohl zu merken, daß der kluge und im Vergleich mit seinem Gast so erfahrene und weltkundige Mann zum Geist der altchinesischen Staats- und Lebensweisheit wirklich ein Verhältnis habe. Es ergab sich ein Gespräch von ungewohnter Lebhaftigkeit, das die bisher zwischen Hausherrn und Gast bestehe nde höfliche Haltung zum erstenmal durchbrach und dazu führte, daß Knecht gebeten wurde, dem ehrwürdigen Herrn zweimal in der Woche eine I-Ging- Lektion zu erteilen.
Während so sein Verhältnis zum Abt und Gastgeber sich ins Lebendigere und Wirksame steigerte, die kollegiale
Freundschaft mit dem Organisten gedieh und der kleine geistliche Staat, in dem er lebte, ihm allmählich vertraut wurde, begann auch die Versprechung des Orakels, das er vor der Abreise aus Kastalien befragt hatte, sich der Erfüllung zu nähern. Es war ihm, dem seinen Besitz bei sich tragenden Wanderer, nicht nur die Einkehr in einer Herberge verheißen worden, sondern auch »eines jungen Dieners Beharrlichkeit«.
Daß die Verheißung sich zur Erfüllung entfaltete, durfte der Wanderer als ein gutes Zeichen annehmen, als ein Zeichen dafür, daß er wirklich »seinen Besitz bei sich trage«, daß er auch fern von den Schulen, Lehrern, Kameraden, Gönnern und Helfern, fern von der heimatlichen, nährenden und hilfreichen Atmosphäre Kastaliens den Geist und die Kräfte in sich gesammelt trage, mit deren Hilfe er einem tätigen und wertvollen Leben entgegenging. Der angekündigte »junge Diener« nämlich näherte sich ihm in Gestalt eines geistlichen
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Schülers namens Anton, und wenn dieser junge Mensch auch in Josef Knechts Leben selber keine Rolle gespielt hat, so war er doch damals in jener eigentümlich zwiespältig gestimmten ersten Klosterzeit ein Hinweis, ein Bote zu Neuem und Größerem, ein Ansager kommender Ereignisse. Anton, ein schweigsamer, aber feurig und begabt blickender Jüngling, schon nahezu reif, um in den Kreis der Mönche aufgenommen zu werden, begegnete dem Glasperlenspieler, dessen Herkunft und Kunst ihm so geheimnisvoll war, ziemlich häufig, während im übrigen die kleine Schülerschar in ihrem abgesonderten und für den Gast nicht zugänglichen Flügel ihm nahezu unbekannt blieb und ihm sichtlich ferngehalten wurde.
Die Teilnahme am Spielkursus war den Schülern nicht
erlaubt. Dieser Anton aber hatte mehrmals in der Woche Dienst als Bibliotheksgehilfe; hier begegnete ihm Knecht, gelegentlich war es auch zu einem Gespräch gekommen, und mehr und mehr bemerkte Knecht, daß dieser junge Mensch mit den
dunkelkräftigen Augen unter starken schwarzen Brauen ihm in jener schwärmerischen und dienstbereiten Art von verehrender Jünglings- und Schülerliebe zugetan war, welche ihm
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