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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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zu können, das abschätzige Gerede über die Berliner. Hatte er den Namen des anderen in Erfahrung gebracht? Die fliederfarbene Pelzstola, 139 Mark, gebügelte Scheine. Die Stola, die jetzt seine Enkeltochter trug – nonchalant, unwissend –, um in der Lobby eines dieser neuen, herausgeputzten Hotels für leichte Klavierunterhaltung zu sorgen. Dieses Stück Fell hatte das Zittern ausgelöst. Und die Wahrheit, die für ihn unablösbar daran klebte. Daß er von seiner Enkelin etwas forderte, was er, genau er, gar nicht fordern durfte.
    Das Fell zusammen mit der stoischen, kühlen Zurückweisung, die Katjuscha kultivierte und in der sie Nadja ähnelte. Wie sie ihr überhaupt im Einsamsein ähnelte, zusammen mit der Fähigkeit, andere durch musikalische Darbietungen zu unterhalten. Als ließe sich der Makel der Einsamkeit darin vergessen machen. An allem prallte er ab, so schien es ihm, an der Erinnerung an Nadja, an dem Schmerz darüber, daß er ihr nie die Wahrheit gesagt hatte, an der Verhinderung ihres Glücks, das er sich zuschrieb.
    Nie wünschte er mehr, die Sortiertheit der Sterne, die einfache Schönheit der Bilder, das Leuchten der Illusion bewahren zu können. Warum hatte das nicht geklappt? Warum war seine Fähigkeit zum Ignorieren und Übersehen nicht standfest geblieben? Was brachte es jetzt, jetzt noch? Er schlich in die Küche, in der Hoffnung, dort Lydia anzutreffen, um mit dem Essen einer ihrer warmen Speisen das Zittern zu beruhigen.
    Während Katarina in der holzgetäfelten Bar des Fünf-Sterne-Hotels spielte, gab es für sie keine Möglichkeit, die Stimme ihres Großvaters auszublenden. Sein Ton war brüchig und farblos geworden, müde und irgendwie schreckhaft auch, und dennoch sprach er unablässig mit ihr und immer höflich. Gagarin hatte keinen bärtigen Gott im Weltall gesehen. War das ein Beweis für die Sinnlosigkeit von allem? Wie oben, so unten. Wenn’s hier unten nichts gab, konnte es oben auch nichts geben. Aber, Katjuschinka, die Sehnsucht, verstehst du, zumindest ein symbolisches System zu haben, das ein bißchen Orientierung bietet, meinst du nicht, wir brauchen so was? Wir brauchen etwas, das uns davon erzählt, wer wir wirklich sind?
    Anton, sagte sie leise beim Spielen, ich bin gleich wieder zurück.
    Mach dich auf den Weg, hörte sie ihn deutlich sagen.
    Aber du bleibst bei mir, entgegnete sie, und weil gerade ein letzter Akkord ausklang, schaute sie auf, unsicher, ob sie laut mit sich geredet hatte. Keiner der Gäste in der warmglänzenden Bar – ein Aquariumschaufenster mit träge dahinschwimmenden Popfarben-Fischen, niedrige Polstersessel, in denen immer nur ein Mensch sitzen konnte, mildes Licht –, keiner der Gäste schaute zu ihr herüber. Eher schien der eine oder andere irritiert wegzuschauen, aber das wollte sie nicht so genau sehen.
    Wo sonst soll ich hin, meldete sich Antons Stimme zu Wort. Ich bin bei euch geblieben, ihr seid bei mir geblieben. Aber ist es das, Katjuscha, ist das nicht viel zu wenig.
    Sie sah deutlich, wie die Lupinen vor dem Haus blühten, ein Augenmeer in der Nacht, als sie gegangen war. Der Backstein des Windfangs, das Riffelglas, die rissigeFassade des früher weißen Hauses im Straßenlaternenlicht. Der altersmüde Zaun mit seinen unwehrhaften Spitzen.
    Wie soll ich es anstellen?, fragte sie leise ihren Großvater und spielte darüber hinweg, als wäre es eine unerlaubte Frage gewesen.
    Sie merkte nicht, daß jemand eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie merkte es erst, als der Druck der Hand größer wurde und sie ihren Arm nicht mehr zum Spielen bewegen konnte. Der Hotelchef und die Concierge standen hinter ihr, die Concierge schaute bittersüß, der Hotelchef lächelte, nur seine Hand auf ihrer Schulter zeigte, wozu er wirklich fähig schien.
    »Frau Müller-Bredow. Unsere armen Gäste.«
    »Entschuldigung«, sagte sie, »ich rede manchmal, während ich spiele.«
    »Nein, Sie spielen, als würden Sie von einem Einsatzkommando gejagt.«
    »Ist das so?«
    »Gibt es einen sichereren Ort als diesen hier?« Sein Lachen verzog sich zu einem aufmunternden, nicht ungefährlichen Grinsen.
    Sie schaute den Hotelchef an, der Hotelchef schaute die Concierge an, die Concierge schaute nicht mehr bittersüß, eher überfordert, fast ein bißchen angewidert.
    »Jeder, der hierherkommt, bezahlt viel Geld für Ruhe, Entspannung und das Vergessen des Wahnsinns da draußen. Das ist die Aufgabe, die wir hier haben. Und wir können uns glücklich schätzen, weil

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