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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Haustür stehen, schon die Klinke in der Hand. Sie griff nach dem schwarzen Tuch, das sie auf der Flurkommode bereitgelegt hatte, hielt es ihm hin. Er faltete es sorgsam auf Kante und band es ihr um. Sie prüfte, daß es vollständig ihre Augen bedecke, dann lächelte sie ihn an und ließ sich hinausbegleiten.
    »Bei mir im Haus wohnt ein Mann«, begann Richard, als sie im Taxi saßen und Katarina die Schaltgeräusche – vom ersten bis in den fünften Gang – wie das fragende Seufzen, das ein Mensch manchmal im Schlaf von sich gibt, empfand. »Der wohnt ein Stockwerk unter mir. Ist dir bestimmt schon mal aufgefallen, die Tür, die so oll aussieht.«
    »Ja«, sagte Katarina leise, für einen Augenblick überfordert in der Orientierungslosigkeit. Mit Gregor wollte sie sich jetzt auf keinen Fall beschäftigen.
    »Ich hab ihn Monate nicht gesehen, ich dachte, der wohnt schon gar nicht mehr dort. So ein Bürgerrechtler, wurde mir gesagt, der noch glaubt, die Welt sei eines Tages zum Guten zu wenden. Letztens haben wir uns beim Müllwegbringen getroffen. Er warf Papier in die Tonne. Ich meinte zu ihm, daß es mir schon einen Stich versetze, was er da mache. Er fragte ganz höflich, was er denn gemacht habe. ›Na, die Ordner‹, sage ich. ›Was ist mit denen?‹, fragt er. ›Aus sozialistischer Produktion‹, sage ich. ›Sie sehen nicht aus wie jemand, der von Nostalgie befallen ist‹, sagt er. Ich mußte ihm recht geben, den Brioni, den ich trug, hatte ich mir erst vor wenigen Tagen gekauft, die Kalbsleder-Church’s auch. Wenn man diese Sachen trägt, fühlt man sich frei von der eigenen Vergangenheit. Das ist es, was man hauptsächlich kauft bei solchen Klamotten: eine fremde Tradition und eine vielversprechende Zukunft. Mein Chefredakteur hatte erst eine Woche zuvor gesagt: ›Sie und Kündigung? Pehl, bevor man Sie kündigt, gibt es wieder eine DDR auf deutschem Boden.‹ Ich war noch nie so angekommen, so hier wie jetzt. Aber die alten Dinger – nee, das hat mich schon getroffen. Warum wir so schlappe Verlierer der Geschichte sein mußten.«
    »Wie heißt der Mann?«, fragte Katarina mit geöffneten Augen, das Schwarz war undurchdringbar.
    »Naumann, glaub ich. Gregor Naumann.«
    »Kennst du ihn näher?«
    »Nein. Du weißt doch, Menschen mit Überzeugungen machen mich tendenziell nervös.«
    Der Fahrer atmete angestrengt durch eine verstopfte Nase, Katarinas Unterschenkel klebten trotz der Seidenstrümpfe, die sie trug, an den Streifenwölbungen des Ledersitzes, ihre linke Hand lag zwischen Richards Fingern. In ihrer Rechten spürte sie die satinierte Haut ihrer Klipphandtasche, den stabilen Corpus darunter. Darin lagen, einzeln und nur für sie hörbar, zwei Kreditkarten, die wie Wanten am Mast klapperten, während sie im Freiraum der Tasche von einer auf die andere Seite fielen.
    In jeder Kurve wurde Katarina stärker als sonst gegen Richards Schulter oder gegen die Verkleidung der Innentür gedrängt, was damit zu tun hatte, daß sie die Kurve vorher nicht sah. Es war ein Schwingen von rechts nach links, der Fahrer fuhr so sanft an und bremste so sanft ab, wie es ihm nur möglich schien, vielleicht hatte er Mitleid.
    Das Taxi hielt, der Fahrer atmete durch den geöffneten Mund, der feste Stoff einer Windjacke raschelte, etwas piepste mehrere Male, ein hoher, stechender Ton. Die Geldscheine, die Richard aus seinem Portemonnaie nestelte, knarrtschten, wie nur frisch durch den Geldautomaten gebügelte Scheine es können. Die Münzen, die er als Wechselgeld bekam, klangen bescheiden. Richard nuschelte einen Abschiedsgruß, Katarina verkündete laut und deutlich: »Einen schönen Abend noch«, der Taxifahrer sagte voll fatalistischer Abscheu: »Na, ick Ihnen ooch, wa.«
    Richards Hand an ihrem Oberarm, sehr fest führte er sie, während sie sich darauf konzentrierte, weder zu tippeln noch zu stolpern –, mit Richard gleichauf zu bleiben. Sie fügte sich in seine Führung, unter ihren Sohlen spürte sie die glatten Betonplatten eines wahrscheinlich frisch verlegten Bürgersteiges. Hinter ihr fuhren Autos, nicht sehr schnell, etwas weiter mußte eine Ampel sein, Motoren liefen leer. Männerstimmen, ein helles Auflachen, zwei die spanisch sprachen, sie spürte, wie Richard seinen Armdruck erhöhte, sie schien zu trödeln vor lauter Geräuschen, auf die es zu hören galt. Eine Tür, die einen Streif Bürstenhaare zur Dämmung hatte, wurde sacht geöffnet, die Stimmen, die Autos, das Knirschen der Sohlen auf dem

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