Das Glück mit dir (German Edition)
jetzt will ich nicht mehr daran denken, sagt er. Und ich will nicht mehr darüber reden. Verstehst du, Nina?
Nina sagt ja, aber das ist nicht die Wahrheit.
Wie war sie? Iris?, fragt sie trotzdem. Sie versucht Respekt in ihre Stimme zu legen. Kam sie aus den Südstaaten? Iris ist ein ungewöhnlicher Name.
Sie war Musikerin, antwortet Philip.
Oh, was hat sie denn gespielt? Klavier?
Doch Philip gibt keine Antwort.
Bei ihrer Ankunft in Paris beobachtet sie am Flughafen in der Schlange an der Passkontrolle einen Mann, der seinen Ehering abzieht und mit einer Sicherheitsnadel, die wohl zu diesem Zweck im Futter seines Diplomatenkoffers steckt, dort anbringt.
Und Ihre Frau? , will sie rufen.
Im Geist beschuldigt sie manchmal Philip, seinen Ehering absichtlich verloren zu haben.
Ihre Kehle ist trocken; sie hat Mühe zu schlucken.
Unten brennt Licht. Sie geht zum Schrank im Flur, der voller Mäntel und Jacken hängt. Ihre, seine – ein marineblauer Wollmantel, ein Parka, eine Daunenjacke, ein Regenmantel, eine alte Windjacke. Die Windjacke ist bestimmt fünfundzwanzig Jahre alt. Sie erinnert sich, wie stolz Philip auf diesen Kauf war. Die Windjacke war leuchtend gelb, ein Schnäppchen, und würde, so behauptete er, ein Leben lang halten. Er hatte recht.Jetzt ist die Windjacke ausgeblichen, Kragen und Ärmelbündchen durchgewetzt, ohne nachzudenken holt sie sie aus dem Schrank und streift sie über. Vorsichtig zieht sie den Reißverschluss hoch. Ihre Hände fahren in die Taschen. Papierstreifen – Rechnungen, To-do-Listen: Autoinspektion, George anrufen wegen Leck im Keller, Bank, Konzertkarten abholen. Die Liste ist, wie sie sieht, mehrere Monate alt; Münzen, Büroklammern, eine abgerissene Eintrittskarte stecken in der anderen Tasche.
Sie geht ins Esszimmer. Das Hühnchen, die neuen Kartoffeln, der Salat stehen auf dem Tisch. Kalt, wartend. Nina will einen Teller nehmen, um ihn abzuräumen, überlegt es sich aber anders. Morgen, denkt sie. Morgen wird sie jede Menge Zeit haben, Sachen wegzuräumen, Geschirr zu waschen, zu … ihr fällt nicht ein, was alles. Stattdessen nimmt sie die Weinflasche mit dem festsitzenden Korken. Wieder versucht sie ihn herauszuziehen, schafft es aber nicht. Mist, sagt sie zu sich selbst. Sie geht in die Küche und holt sich ein Messer. Mit dem Messergriff schiebt sie den Korken in die Flasche und schenkt sich ein Glas Wein ein.
Mit dem Messer, einem scharfen Küchenmesser, immer noch in der Hand, macht sie eine Bewegung, als wollte sie sich die Kehle aufschlitzen. Sie sieht sich dabei im Esszimmerspiegel und schüttelt den Kopf.
Was würde Louise denken?
Das Glas Wein in der Hand, geht sie die Treppe hinauf.
Draußen ertönt eine Polizeisirene. Aus dem Schlafzimmerfenster sieht sie das Blaulicht in der Dunkelheit herannahen, dann am Haus vorbeirasen und schließlich verschwinden. Sie denkt an das Auto voller Teenager mit der lauten Musik und stellt sich vor, dass es gegen einen Baum gekracht ist, das Glas der zersplitterten Windschutzscheibe glitzert, Rauch steigt von der Motorhaube auf und auf dem Rücksitz kreischt jemand.
Noch eine Sirene. Noch ein Polizeiauto fährt vorbei.
Arme Iris, sagt sie zu Philip.
Wieder klingelt das Telefon.
Louise.
Sie hat Louise eine Nachricht hinterlassen. Louise, Liebling, es ist etwas passiert. Ruf mich so bald wie möglich an.
Arme Louise.
Philips Liebling.
Eine schöne, lebendige, eigenwillige junge Frau, die ihm ähnlich sieht – groß, dunkel, mit den gleichen grauen Augen. Nina muss ans Telefon gehen.
Hallo, sagt sie, als sie den Hörer im Schlafzimmer abgehoben hat.
Louise?
Wer immer dran ist, legt auf.
Verwählt. In der Dunkelheit sucht Nina auf dem Display des Telefons nach der Nummer des Anrufers, aber es wird keine angezeigt.
Sie ist erleichtert. Sie will es Louise nicht erzählen.
In Kalifornien ist es drei Stunden früher, und Louise, so stellt sie sich vor, isst gerade zu Abend. Sie isst miteinem jungen Mann zu Abend. Einem gutaussehenden jungen Mann, den sie mag. Anschließend wird Louise ihre Nachrichten nicht abhören; sie wird mit ihm schlafen.
Für Louise ist Philip noch am Leben.
Die glückliche Louise.
Nina nippt an ihrem Wein, stellt das Glas ab und greift wieder nach seiner Hand. Seine Hand ist kalt, und sie versucht sie zwischen ihren beiden Händen zu wärmen.
Sie liebt Philips Hände. Seine schlanken Finger mit den runden Kuppen. Finger, die sie auf jede erdenkliche Weise berührt haben. Auf
Weitere Kostenlose Bücher