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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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»Gereon von Wallert.«
    »Der Gallerist?«
    Von Wallert nickte. »Ihr Mann hat mich beauftragt.«
    Sie fühlte sich zu schwach, um sich darüber zu wundern, und ließ von Wallert eintreten.
    Eine Weile saßen sie auf dem Sofa, sprachen über Annas Verlust und die Zeit der Trauer, die vor ihr lag. Von Wallert erwies sich als rücksichtsvoller, vorsichtiger Gesprächspartner, der auch die Pausen gut aushielt, wenn Anna nicht nach Reden zumute war. Langsam lenkte er die Unterhaltung auf Annas Bilder, die im Raum standen, aber Anna winkte ab und erklärte, dass alles, was sie bisher gemacht habe, Schrott sei.
    Alles, bis auf eine Ausnahme.
    Von Wallert stand auf und sagte: »Zeigen Sie mir die Ausnahme.«
    Anna holte das Bild aus dem Schlafzimmer und stellte es auf eine Staffelei. Sie standen zusammen davor und von Wallert betrachtete es lange.
    Dann sagte er: »Sie haben da etwas sehr Beeindruckendes geschaffen, Frau Glück. Ich habe so etwas in dieser Form noch nie gesehen. Es ist wild, kraftvoll und doch ist da etwas … ist da …«
    Er suchte nach dem richtigen Wort.
    »Ordnung?«
    Er schnippte zustimmend mit den Fingern: »Das ist es! Ordnung.«
    Anna lächelte versonnen: »Ich hatte einen guten Lehrer …«
    Von Wallert betrachtete wieder das Bild des tanzenden Paars, dann griff er in sein Jackett und zog eine Karte hervor: »Malen Sie, Frau Glück. Und dann rufen Sie mich an.«
    Er wandte sich um, nahm seinen Mantel, der über einem Stuhl hing, und zog ihn an. Anna hielt verblüfft die Karte in ihren Händen.
    »Und Sie sind nur gekommen, weil Albert Sie angerufen hat?«
    Von Wallert hielt inne, sah für einen Moment nachdenklich, ja sogar etwas verlegen aus. Er rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich. Für einen Moment starrte er auf den Boden, dann auf seine Hände, als ob die gar nicht zu ihm gehörten.
    »Ihr Mann war ein besonderer Mensch, Frau Glück.« Er sah sie nicht an, sondern strich sich nervös über die Finger. »Er hat viel Gutes getan. Und er hat mich an etwas erinnert, was ich bereits vergessen hatte, nämlich mich um die zu kümmern, die zu stolz dazu sind, um Hilfe zu bitten. Ihr Mann war da, als niemand sonst mehr da war. Er hat mein Leben verändert, dafür bin ich ihm unendlich dankbar.«
    Anna schaute ihn verständnislos an.
    Von Wallert stiegen die Tränen in die Augen: »Meine Mutter … Ihr Mann hat sie gerettet. Nicht ich, ihr Sohn. Ihr Mann war es.«
    Er starrte weiterhin auf seine Hände, und Anna hatte plötzlich ein Bild von Albert vor Augen, völlig aufgelöst, weil eine alte Frau ihm aus lauter Dankbarkeit seine Hände geküsst hatte. Er war verzweifelt darüber, dass die Welt so war, wie sie war, und im Begriff, wieder in sein kleines Zimmer zurückzukriechen.
    Aber er hatte es nicht getan.
    Und jetzt saß hier der Sohn und wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen, so sehr schämte er sich. Albert hatte ihr einmal vom Impulserhaltungsgesetz erzählt, einem Phänomen, das in seinen Augen nicht nur für die Physik gültig war. Ein Impuls verpuffte nicht. Vielleicht war er nicht immer stark genug, um eine Reaktion zu verursachen, aber er hinterließ immer Spuren. Das galt für die Physik, das galt in gleichem Maß für die Menschen. Daran hatte Albert geglaubt.
    Von Wallert atmete tief durch, dann verabschiedete er sich.
    »Sie rufen mich an?«
    Anna nickte.

67.
    Am Tag der Beerdigung saß Wehmeyer in seinem Schlafzimmer und band sich nachdenklich die Krawatte. Er hatte die Nachricht von Alberts Tod und der kleinen Trauerfeier im Intranet des Amtes veröffentlicht, doch aus seiner Abteilung hatte sich niemand den Vormittag dafür freigenommen. Niemand schien das Bedürfnis zu haben, Albert die letzte Ehre zu erweisen, und Wehmeyer fragte sich, ob das aus Angst vor dem neuen Amtsleiter Wittmann war, der sehr deutlich gemacht hatte, was er von Menschen wie Albert Glück hielt, oder ob es schlicht Gleichgültigkeit war.
    Auf seinem Nachttisch stand eine Flasche Cognac, daneben ein Glas, das er schon zweimal gefüllt und ausgetrunken hatte. Nichts hatte sich im Amt geändert, außer dass es jetzt viele, viele Jours fixes gab, denn Wittmann hielt gerne Besprechungen ab. Ungeheuer wichtige Besprechungen, in denen plötzlich viele Wittmann-Doubles saßen, die allesamt in aufgemotzten Powerpoint-Präsentationen nach Synergien suchten und dabei unheimlich proaktiv waren. Selbstverständlich kam niemals etwas bei diesen Sitzungen herum, aber sie waren alle auf der Höhe der Zeit

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