Das Glücksprojekt
schwamm ich schon bald nur noch ein paar Bahnen, und zwar quer, um mir dann im Jacuzzi die Orangenhaut wegblubbern zu lassen. Anschließend setzte ich mich in die Sauna und ließ dort die Haarkur einwirken. Das war zwar sehr schön, hatte aber mit Sport nicht viel zu tun. Schlimmer noch: Ich saß irgendwann mit der Haarkur und einem schlechten Gewissen in der Sauna, die nicht geschwommenen Meter drängten sich auch noch mit rein, und dann war zu wenig Platz für uns alle und ich kam nie wieder.
Das Projekt Glück erfordert einen neuen Anlauf. Nur wo die Reise hingehen soll, ist mir noch nicht ganz klar. Welcher Sport macht tatsächlich glücklich, und sind sportliche Menschen glücklich? In Deutschland laufen rund 17 Millionen Leute, das sind 26 Prozent der Bevölkerung – sind sie glücklicher als die anderen? Ich muss an meine Freundin Miriam denken, die jede Woche 100 Kilometer rennt und inzwischen eine Figur hat wie ein zwölfjähriger Junge. Leider sehe ich sie nicht oft, weil sie nicht viel Zeit hat neben ihrem Job und dem Rennen. Abends ist sie kaputt, weil sie meistens schon um halb sechs aufsteht, damit sie vor der Arbeit noch 20 Kilometer schafft. Mit zum Tanzen geht sie auch nicht mehr, wegen ihrer Knie, und ein Glas in einer Kneipe zu trinken, ist auch nicht mehr ihr Ding. Sie ist jetzt mit Leuten aus ihrem Lauftreff befreundet. Ich bin da einmal mitgekommen und habe eine Flasche Wein mitgebracht – die ich dann alleine getrunken habe. Es wurde über Trainingspläne und Zeitmess-Chips gesprochen und über Schuhe. Schuhe, dachte ich, das ist ja super, da kann ich mitreden. Denkste. »Sieht so Glück aus?«, fragte ich mich, als ich Miriam beobachtete, die vor ihrem Glas laktosefreiem Mineralwasser oder etwas in der Art saß und über ihre anaeroben Schwellen redete.
Ich denke auch an Sandra, den größten Pilates-Fan, den ich kenne. Seit acht Jahren ist sie dabei. Währenddessen hat sie drei beeindruckende Jojo-Effekte hingelegt, eine Depression bekommen und wurde von ihrem Freund verlassen. Jetzt ist sie außer in Pilates auch noch in einer Selbsthilfegruppe, und so stelle ich mir Glück wahrlich nicht vor.
Und dann ist da noch Stefan, der seit Jahren im Verein Volleyball spielt. Er lud mich ein, mitzukommen. Zuerst lernte ich die anderen vom Verein kennen, beim Griechen um die Ecke von der Turnhalle, wo sich alle mit Bieren und der Platonplatte die verbrauchten Kalorien wieder draufschafften. Stefan erklärte mir später, wer von den Spielern blöd, nett oder langweilig war, und auf meine Frage, warum er sich mit blöden und langweiligen Leuten treffe, antwortete er: »Die sind halt im Verein.« Was passieren würde, wenn ich jetzt nach dem Spiel nicht zum Griechen um die Ecke wolle? »Nee, das ginge nicht«, sagte Stefan. »Das ist schließlich Tradition.« Für Stefan trägt sein Volleyballverein wohl zu seinem Glück bei, aber für mich ist das nichts.
Wen kenne ich noch, der Sport macht? Paula! Natürlich. Paula macht alles. Sie ist Mitglied im teuersten und modernsten Fitnessclub der Stadt. Sie ist permanente Teilnehmerin aller Power-Yoga-, Bikram-Yoga- und Aerobic-Kurse des Clubs, zumindest theoretisch. Sie zahlt nämlich nur die (horrenden) Gebühren, geht aber höchstens zweimal im Jahr hin. Und dann legt sie sich nur auf die Sonnenbank. Das könnte sie billiger haben, finde ich, aber Paula sieht das anders: »Ich fühle mich gut so. Ich weiß natürlich, dass es nichts bringt, nur angemeldet zu sein, aber so habe ich das Gefühl, etwas zu tun – ich könnte ja schließlich jederzeit hingehen. Ich zahle einen, wie ich finde, angemessenen Betrag dafür, dass mein Gewissen beruhigt wird.« Das kann man jetzt finden, wie man will, aber Paula gehört von den Menschen, die ich kenne, auf jeden Fall zu den glücklicheren.
Und jetzt? Unglücklich hole ich die Tüte mit den Laufsachen vom Schrank, und aus dem Augenwinkel sehe ich einen Schweinehund, der sich schon wieder siegessicher ins Fäustchen lacht. L. findet mich an diesem Tag auf dem Bett sitzend, Laufschuhe und Laufhose vor mir auf dem Boden ausgebreitet. »So schlimm?«, fragt er. Ich nicke mit dem Kopf.
»Gibt es denn gar nichts, das du gerne machst?«
»Doch«, antworte ich, und das ist ein bisschen unangenehm zu sagen: »Ich gehe gern spazieren.« L. sieht mich an und zuckt mit den Schultern. »Na, ist doch prima!« Prima?! Ich stelle mir vor, wie mir ein Marathonläufer erzählt, wie er es geschafft hat, die 42 Kometer zu rennen.
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