Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
konnte.
Blühendes, fruchtbares Land, dachte er, ganz anders, als die Bilder aus meiner Vision es mir gezeigt haben. Jäh erfasste ihn Grauen bei der Erinnerung an das leblose Szenario und jenes herzzerreißende Seufzen, welches über dem Land und der königlichen Burg aufgestiegen war.
Er kniff die Augen zusammen. Eine Kutsche bog um eine Wegkrümmung und rollte die steile Straße herauf, um gleich darauf wieder aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Cristin. Er konnte spüren, dass seine Schwester sich näherte. Kamen die Töne in seiner inneren Schau der Warnung gleich, ihr könnte ein Unheil bevorstehen? Der Gedanke löste eine Flut von Empfindungen in Piet aus. Mit einem Satz sprang er aus dem Sattel und reckte sich, um seine verspannten Muskeln zu lockern. Die Kutsche musste jeden Augenblick auf dem Platz vor dem Burgtor erscheinen, das sich inzwischen geöffnet hatte.
Piet fuhr sich übers Gesicht. Wenn seine Schwester den weiten Weg zum Wawel auf sich nahm, musste sie gute Gründe für ihr Handeln haben. Inzwischen war es zunehmend wärmer geworden, und Piet streifte seinen Umhang ab. Mit den Händen schirmte er die Augen gegen das blendende Morgenlicht ab. Endlich hatte die von zwei Reitern flankierte Kalesche den Wawel erreicht.
Karol lenkte die Pferde über eine steile, kurvenreiche Straße den Wawel hinauf, auf dem das Schloss erbaut worden war. Bereits vor Hunderten von Jahren hatte es hier oben eine Burg gegeben, wie Cristin aus einem ihrer Gespräche mit Jadwiga wusste. Die Höhlen, die den Hügel durchzogen, sollten einst das Versteck eines Drachen gewesen sein, der hier gehaust hatte, bis der Ritter Krak gekommen war und das Ungeheuer durch eine List besiegt hatte. Die Königin hatte geschmunzelt, während sie Cristin die alte Legende erzählte.
Der Kutscher trieb die Pferde noch einmal an. Eine letzte Wegbiegung, und sie waren auf dem ausgedehnten Platz vor der hohen Mauer angekommen, die den Wawel vor unliebsamen Eindringlingen schützte. Aus dem geöffneten Tor kamen ihnen mit Fässern beladene Eselkarren entgegen. Die Kutscher lenkten ihre Tiere schimpfend um einen hochgewachsenen Reiter herum, der sich vorbeugte, als hielte er nach jemandem Ausschau. Im selben Moment erkannte Cristin die schlanke Gestalt ihres Bruders, die ihr mit langen Schritten entgegengelaufen kam.
Lachend fielen sich die Zwillinge in die Arme.
»Endlich sehen wir uns wieder!« Piet küsste sie herzhaft auf die Wange und nahm Elisabeth hoch, die ihn aufmerksam betrachtete. Er zog die Stirn kraus. »Wieso hast du die Kleine mitgenommen?«
Cristins Gesicht wurde ernst. »Das erzähle ich dir später. Aber sag, wo kommst du überhaupt her? Du siehst aus, als hättest du auf uns gewartet, oder täusche ich mich?«
»Eine Eingebung«, antwortete Piet.
»Eine Eingebung, soso. Wie könnte es auch anders sein. Dir scheint es prächtig zu gehen, Bruderherz. Die Liebe steht dir gut.«
Mit den Händen umschloss er ihr Gesicht und senkte seine Augen in die ihren, die von einem tieferen Blau waren als seine und vor Glück strahlten.
»Oh, ja. Marianka freut sich auch schon auf dich. Doch so schön es ist, dich so bald wiederzusehen, Cristin, bin ich dennoch überrascht. Sag, was führt dich hierher?«
»Jadwiga hat mich gebeten zu kommen. Sie möchte, dass ich ihr die letzten Wochen vor der Niederkunft Gesellschaft leiste.«
Piet versuchte seine Erleichterung hinter einer gleichmütigen Miene zu verbergen. »Das Volk ist schon vollkommen aus dem Häuschen, die Schwangerschaft der Königin ist in aller Munde.« Er maß seine Schwester neugierig. »Du bleibst also länger?«
Cristin nickte. In kurzen Zügen berichtete sie ihm von Jadwigas Nachricht und Baldos Plan nachzukommen.
»Wie ich Baldo kenne, hält es ihn nicht länger in Hamburg als nötig.« Piet zwinkerte ihr zu. »Du kommst doch hoffentlich heute zum Abendessen zu uns, Schwesterherz? Marianka kocht himmlisch.«
Cristin küsste ihn auf die Nase. »Liebend gern. Aber jetzt muss ich gehen. Jadwiga wird von meinem Eintreffen bereits Kunde haben, und ich möchte sie nicht warten lassen.«
Piet sah sie forschend an. »Geht es Euch auch wirklich gut? Ich meine …«
»Ja«, erwiderte seine Schwester ausgelassen. »Wir hatten eine sichere Reise hierher.«
Ihr nächtliches Erlebnis mit den Wölfen behielt sie vorerst für sich. Sie machte eine Kopfbewegung zu Mariusz und Roman hin, die Piet von ihren Pferden herab aufmerksam musterten.
»Diese guten Männer haben uns
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