Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
an ein Gespräch, in dem Jadwiga angedeutet hatte, wie wenig Freude die beiden sich zu schenken vermochten. Die kurzen, lieblosen Besuche in ihrem Schlafgemach ließ die Königin über sich ergehen, doch für lange Zeit war keine Leibesfrucht in ihr gewachsen. Selbst die Mittel, die Cristin ihr im letzten Jahr mehrmals verabreicht hatte, waren wirkungslos geblieben. Allein gegen die schlaflosen Nächte hatte sie mit einem Kräutersud etwas Abhilfe schaffen können.
»Darf ich Euch etwas fragen, Majestät?«
»Selbstverständlich. Es gibt doch inzwischen kaum etwas, über das wir beide nicht schon gesprochen hätten. Nur zu, meine liebe Freundin.«
»Es ist nur …« Cristin zögerte einen Moment. »Entschuldigt meine Neugier, aber ich habe mich schon im letzten Jahr gefragt, warum Ihr …« Sie brach erneut ab.
»Was meinst du, liebste Cristin?«
»Wart Ihr einander versprochen?«
Jadwiga trat an das hohe Fenster. Auf dem breiten, steinernen Sims hatte sich eine graublau gefiederte Taube niedergelassen. Mit kleinen Trippelschritten lief der Vogel vor dem Fenster auf und ab. Dann blieb er stehen, legte den kleinen Kopf schief und lugte in das königliche Gemach hinein. Stille erfüllte den Raum. Schon glaubte Cristin, mit ihrer Frage zu weit gegangen zu sein, da drehte sich die Königin zu ihr um.
»Nein. Bereits kurz nach meiner Geburt wurde ich mit einem anderen Mann verlobt. Nun ja, er war damals kein Mann, sondern nur ein Knabe, gerade einmal drei Lenze älter als ich. Er hieß Wilhelm und war der Sohn eines österreichischen Herzogs.« Sie schwieg einen Augenblick, und ihre Stirn umwölkte sich. Als sie weitersprach, hatte ihre Stimme einen rauen Ton angenommen. »Ich war zehn, als mein geliebter Vater starb. Wilhelm war inzwischen dreizehn, und seine Ratgeber drängten auf einen baldigen Heiratstermin. Als Wilhelm nach Krakow kam, verwehrte ihm unser Kastellan jedoch den Einlass, denn meine Mutter und der Adel waren gegen diese Verbindung. Sie hatten andere Pläne mit mir. Schließlich sollte der zukünftige König Polens sorgfältig gewählt sein. Der Ehevertrag mit Wilhelm wurde aufgelöst, bevor die Ehe vollzogen und dadurch rechtskräftig werden konnte. Zwei Jahre darauf erfolgte dann die Krönung zur Königin.«
Cristin stutzte. »Ihr hattet schon mit zwölf Jahren die Verantwortung für Euer Volk zu tragen?«
»Ja. Glaub mir, es war nicht einfach.« Erneut streckte die Königin den Rücken durch. Ihr Blick schweifte in die Ferne. »Von Tag zu Tag wurde mir das Leben auf dem Wawel schwerer. Eines Abends schlich ich mich aus dem Schloss. In einem der Stallgebäude fand ich eine Axt, mit der ich versuchte, das verschlossene Tor zu öffnen.«
»Ihr wolltet fliehen?«, stieß Cristin verblüfft hervor.
Elisabeth lief durch die offene Tür in das angrenzende Schlafgemach. Schnell stand Cristin auf, folgte ihr in den Raum mit der Schlafstatt, über der sich ein seidener Baldachin spannte, und nahm sie hoch. Dann setzte sie sich wieder neben die Königin, die in ihrem Sessel Platz genommen hatte.
Jadwigas Mund umspielte ein wehmütiges Lächeln. »Ja, ich wollte fliehen. Es gelang mir jedoch nicht. Ich war wohl zu schwächlich für diese große Axt. Du kennst das schwere Tor, das den Burghof vor Eindringlingen schützt. Da kommt niemand so schnell hinein. Und leider auch nicht heraus.« Die Königin wirkte abwesend, als hätte sie das Geschehen noch einmal vor Augen. »Nachdem ich die Axt zurückgebracht hatte und über den Hof lief, hörte ich jemanden meinen Namen rufen.«
»Man hat Euch erwischt.«
»Das glaubte ich zunächst auch. Doch da war niemand. Ich wollte ins Schloss zurückkehren, doch plötzlich verspürte ich den Drang, in die Kathedrale zu gehen. Mir war, als zöge mich etwas dort hin.« Jadwigas Gesicht zuckte. »Die Tür war nicht verriegelt. Ich war allein dort, setzte mich in die erste Reihe und blickte zum Kruzifix auf dem Altar. Du kennst es ja.«
Cristin nickte. Der gekreuzigte Heiland war eine meisterhafte Holzschnitzerarbeit.
»Mir war ganz seltsam zumute, Agnes«, sprach Jadwiga weiter. »Von dem Kreuz ging ein Leuchten aus.«
Cristin beugte sich vor. »Ein Leuchten, Hoheit?«
Die Königin lächelte abwesend und strich sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. »Ich weiß, es klingt unglaublich, liebste Freundin. Doch genau so war es. Ich habe mich ein wenig gefürchtet. Oh, es war wirklich unheimlich«, fuhr sie fort. In ihren Augen glühte nun ein inneres Feuer.
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