Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Besorgnis vor der Familie zu verbergen. Mehrmals hatte er Grazynas prüfenden Blick auf sich gerichtet gefühlt. Mariankas Mutter etwas zu verheimlichen, war beinahe unmöglich. Seiner Liebsten gegenüber hatte er nur angedeutet, gleich am nächsten Morgen zum Wawel reiten zu wollen. Schließlich komme seine Schwester nicht alle Tage zu Besuch, und er wolle sie begrüßen, sobald sie eintraf. Natürlich hatte Marianka gespürt, dass etwas nicht stimmte. Doch sie schwieg und ließ ihn gewähren.
So verbrachte er auch die letzten Stunden der Nacht grübelnd, bis endlich die Morgendämmerung einsetzte.
So leise, wie es ihm möglich gewesen war, hatte er sich aus Mariankas Umarmung gelöst, rasch seine Kleidung übergeworfen und das Gesicht mit eiskaltem Wasser bespritzt. Kurz darauf hatte er das Pferd aus dem Stall geführt und war durch die stillen Gassen zum Wawelhügel geritten. Die Luft war noch kühl, und von den Blättern der alten Bäume, die die Straße zum Hügel hinauf säumten, perlten Tautropfen zu Boden. Piet rieb sich die brennenden Augen und hielt auf die Burg zu, die sich in den morgendlichen Himmel erhob.
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S eht nur«, drang wie von ferne Karols Stimme an Cristins Ohren, gefolgt vom Schnauben der Pferde.
Verschlafen öffnete sie die Augen, sie musste eingenickt sein. Der Kutscher hatte die Tiere auf einem sanften Hügel zum Stehen gebracht. Rechts und links neben der Kalesche saßen Roman und Mariusz hoch aufgerichtet in ihren Sätteln und blickten ebenfalls auf die Ebene hinab, die sich vor ihnen erstreckte. Morgennebel bedeckte die Landschaft, doch Cristin konnte die Umrisse von Mauern einer großen Stadt ausmachen. Ein breiter Fluss umgab sie, von dessen Ufern zahlreiche Holzbrücken auf die Tore der Stadtmauer zuführten. Über den Dächern der Häuser erhob sich ein gewaltiges Schloss in den Himmel: der Wawel, Sitz des polnischen Herrscherpaares.
Freudige Erwartung ergriff Cristin. Hier hatten Baldo und sie mehrere Monate lang gelebt, bevor sie im letzten Jahr schließlich nach Lübeck zurückgekehrt waren, um den Mörder von Lukas zu stellen. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Begegnungen und Gespräche mit Königin Jadwiga, die ihr mit der Zeit zu einer Freundin geworden war. Baldo, der ihr eine selbst gefertigte Brosche geschenkt hatte. Marianka, Piets liebenswerte junge Frau.
Karol schnalzte mit der Zunge, und die Kalesche setzte sich in Bewegung. Langsam rollte sie die gepflasterte Straße hinunter und tauchte in die Nebel ein, die über den Äckern hingen und die Stadt wie schimmernde Umhänge umgaben. Cristin schloss die Augen und faltete die Hände, um Gott und dem heiligen Christophorus für den Schutz zu danken, der ihrer Reisegesellschaft in den vergangenen Tagen zuteilgeworden war. Der gleichmäßige Hufschlag der Pferde und das Knarren der Räder auf den sandigen Wegen hüllten sie sanft ein.
Elisabeths kleiner Körper neben ihr strahlte Wärme aus. Ihr gleichmäßiger Atem verriet, dass sie eingeschlafen war. Während Cristin spürte, wie sich der kindliche Brustkorb hob und senkte, begann auch sie sich zu entspannen. Die Stimmen der beiden Wachen, die neben der Kutsche ritten, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie ließ den würzigen Geruch der Pferde und das Rauschen des Windes auf sich wirken. Wie schön es hier war, wie friedlich das Bild, das sich ihr bot – Wiesen, die sich bis zum Weichselfluss erstreckten, Insekten, die Margeriten und Butterblumen am Wegesrand umschwirrten, ein Raubvogel, der in luftiger Höhe seine Kreise zog.
»Mama?«
Cristin spürte, wie sich Elisabeths kleine Finger um ihre Hand schlossen. Sie strich ihr über das halblange rotblonde Haar, das ihrem eigenen so sehr glich.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange, mein Liebling. Bald wirst du eine richtige Königin kennenlernen.«
»Eine Königin? Eine echte?«
Cristin lächelte und erzählte ihrer Tochter von Jadwiga.
Piet ließ den Blick zu der Burg auf dem Hügel schweifen. Von einer unerklärlichen inneren Unruhe getrieben, verharrte er regungslos auf dem Rücken des treuen Kaltbluts. Noch war das gewaltige Tor geschlossen, doch der Narr hörte, wie das Leben dahinter allmählich erwachte. Hähne krähten, Stimmen wurden laut, während er zusah, wie die Sonne über den Türmen und Dächern der königlichen Burg aufstieg. Er schnalzte und brachte das Pferd dazu, sich einmal um die eigene Achse zu drehen, damit er auf die Wälder und Weiden der Stadt hinabblicken
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