Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
schien bereits den Raum betreten zu haben, nur noch wenige Schritte vom Bett entfernt, um die Hand nach der Sterbenden auszustrecken.
»Sei getreu bis in den Tod …« zitierte die Königin die Bibel, »so will ich dir die Krone des Lebens geben.« Das Lächeln erreichte die eben noch trüben Augen und ließ sie kurz aufleuchten. »Eine neue Krone, liebste Freundin.«
Der Anblick von Jadwigas abgemagertem Leib und der durchscheinenden Haut, unter der sich ihre Adern scharf abzeichneten, war kaum zu ertragen. Das lang ersehnte Kind zu verlieren hatte das Lebenslicht der Königin zum Erlöschen gebracht. Viel war ihr auferlegt worden, das sie mit bewundernswerter Stärke gemeistert hatte. Doch der Tod schien Jadwigas härtester Gegner zu sein. Ihm konnte auch sie nicht trotzen. Cristin nahm die schmale Hand in die ihre. Sie konnte sehen, wie schwer der Herrscherin das Sprechen inzwischen fiel, ja selbst die Lider zu heben bereitete ihr Mühe. Jadwigas Blick schweifte in die Ferne, an einen unbekannten Ort.
Cristin nickte. »Ihr werdet eine Königin sein im Reich Gottes, Majestät«, flüsterte sie. Ihre Sicht verschwamm, und sie wischte sich über das zuckende Gesicht.
Zwischen Jadwigas Brauen bildete sich eine schmale Falte. »Wo … wo bist du, mein Engelchen?« Suchend schweiften ihre Augen umher, kamen schließlich an einem Punkt hinter Cristin zur Ruhe.
»Da bist du ja.«
Ein überirdisches Leuchten ließ das Leid in den königlichen Zügen für einen kurzen Moment beinahe vergessen. Cristin fasste sich ans Herz. Herr, steh mir bei, sie spricht mit ihrem toten Kind!
Dann wurde Jadwigas Blick plötzlich klar und traf auf Cristins. Der schwache Druck ihrer Hand zeigte ihr, dass die Königin ihre Umgebung wieder wahrnahm.
»Sie … sie wartet … auf mich. Dort werden wir … für immer …«
Cristin hielt den Atem an.
»… immer vereint sein. Der Himmlische König … er segne mein Land.«
Jadwigas Kopf fiel zur Seite. Die Hand, die Cristin zwischen den Fingern hielt, erschlaffte. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Der König eilte gesenkten Hauptes aus dem Gemach und schloss die Tür hinter sich.
Der Medicus trat neben Cristin, tastete nach Jadwigas Puls. »Exitus.«
Erst das Kind, nun die Mutter. Die Welt schien zusammenzubrechen. Warum?, schrie es in ihr. Warum gerade Jadwiga? Was sollte nun aus den vielen Heimatlosen, Kranken und Ausgestoßenen werden, um die sich die Königin so aufopfernd gekümmert hatte? Wer würde ihnen einige liebevolle Worte, wer Wärme und Zuversicht schenken?
Jadwigas Verhandlungsgeschick bei politischen Verwicklungen, ihr Einsatz, besonders für den jüdischen Teil der Bevölkerung, war legendär. Mit ihr starb nicht nur die allseits geliebte Königin Polens, sondern auch die Seele des Reiches. Cristin fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht und schritt wie betäubt aus dem Gemach, begleitet vom Wehklagen der Anwesenden. Warum?, fragte sie sich abermals. Doch gleichzeitig ahnte sie, dass es auf diese Frage keine Antwort gab.
19
C ristin hob den Kopf und starrte aus tränennassen Augen auf den blumengeschmückten Eichensarg, in dem die tote Königin aufgebahrt dalag. Das vertraute Antlitz war bleich, doch Jadwigas Züge wirkten gelöst, fast entspannt. Ihre Haut schimmerte wie Marmor. Die schlanken, gefalteten Hände ruhten auf einer Decke aus kostbarem Stoff. Die Goldspinnerin versuchte den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. Wie schön die Königin selbst im Tode ist, dachte sie und legte Elisabeth einen Arm um die Schultern.
Nach den Feierlichkeiten würde Jadwiga in einen steinernen Sarkophag in einer der Krypten umgebettet werden. Dort sollte sie ihre letzte Ruhestätte finden wie schon viele Regenten und Könige Polens vor ihr, die in der prachtvollen Basilika beigesetzt waren. So manches Mal hatte Cristin hier die heilige Messe besucht. Im Anschluss an eine dieser Eucharistiefeiern hatte Piet vor über einem Jahr in einer Vision gesehen, wo sich Elisabeth befand.
Während diese sich an ihre Mutter kuschelte, begann der Priester die Totenmesse zu zelebrieren. Cristin schloss die Augen und überließ sich ihren Gedanken. In den letzten Tagen hatte sie beinahe täglich die Basilika aufgesucht und Christus, die Heilige Jungfrau und sämtliche Heiligen bestürmt und angefleht, die Königin nicht sterben zu lassen – vergeblich. Nun saß sie wieder hier, das Herz schwer wie Stein. Bitterkeit erfüllte sie.
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