Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
verfolgte den heiligen Ritus aus geröteten, tränennassen Augen. Schweigend beobachtete Cristin, wie der Priester einen kleinen Becher dreimal in die Schale mit geweihtem Wasser tauchte und etwas davon über das nunmehr bleiche Köpfchen des Kindes träufelte.
»Liliana, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, murmelte er mit leiser Stimme.
Zuvor hatte er sich der kleinen Schar zugewandt, die sich um das Bett der Königin versammelt hatte – zwei Zofen, der königliche Arzt und Cristin.
»Lasst uns Gottes Erbarmen herabrufen auf dieses Kind, das die Taufe empfangen soll. Und auf uns alle, die wir schon getauft wurden.«
Cristin schloss die Augen. Ihre Gedanken wanderten zu Jagiello. Polens König war vor zwei Tagen zu einer Reise in den Norden des Reiches aufgebrochen. Er hatte sich einen Jungen als Thronfolger gewünscht, wie Jadwiga ihr erst kürzlich anvertraut hatte. Doch die göttliche Vorsehung wollte es anders, und die Königin hatte »nur« ein Mädchen zur Welt gebracht. War Jagiello deshalb in den letzten Tagen kaum am Bett seiner Gemahlin anzutreffen gewesen?
Die junge Frau verbannte das Bild des Königs aus ihren Gedanken und heftete den Blick auf den alten Kirchenmann, der den Allmächtigen nun eindringlich bat, das Kind von der Herrschaft des Bösen zu befreien und in die Gemeinschaft der Kirche aufzunehmen. Es folgte ein gemeinsam gesprochenes Vaterunser.
Noch am selben Abend starb Jadwigas Tochter.
18
S tarr ruhte Jadwigas Blick auf dem kleinen, mit weißem Damast bedeckten Körper in dem für alle Anwesenden gut sichtbaren, auf einem Gestell aufgebahrten offenen Sarg. Polens Königin saß in einem fahrbaren Sessel, offenbar war sie zu schwach, um den Weg zur nahegelegenen Wawelkathedrale zu Fuß zurückzulegen. Jagiello selbst hatte sie hineingeschoben. Mit gesenktem Haupt, die Züge versteinert, hatte er neben seiner Frau im Familiengestühl Platz genommen.
Cristin sah, wie Jadwiga die Augen schloss. Mit gesenktem Kopf schien sie den Worten des alten Priesters zu lauschen, der die Totenmesse hielt. Was mochte in ihr vorgehen? Seit dem Tag, an dem das Kind gestorben war, hatte Jadwiga sie nicht mehr zu sich gerufen. Drei Tage trauern wolle sie, hieß es. Allein. Nur der König hatte ihre Räume betreten dürfen. Cristin wandte den Blick von ihrer Freundin ab und ließ ihn durch den Altarraum schweifen. Der vordere Teil der Kathedrale war mit Dutzenden von Liliensträußen geschmückt, neben dem winzigen Eichenholzsarg brannten große, armdicke Kerzen, ebenso auf dem Altar dahinter.
Dann war die Zeremonie vorüber. Der Sarg wurde geschlossen und hinausgetragen, um auf dem kleinen Gottesacker hinter der Kathedrale in die geweihte Erde gesenkt zu werden. Schweigend erhob sich die Trauergemeinde. Als Jagiello den fahrbaren Sessel mit der zusammengesunkenen Königin durch den Mittelgang zum Eingang der Kirche schob, schlug Cristin unwillkürlich die Hand vor den Mund. Die Augen in dem eingefallenen Gesicht der ehemals so kraftvoll wirkenden Königin blickten stumpf, schlaff hingen die feingliedrigen Hände zu beiden Seiten des Gefährts hinab.
Ein Gedanke drängte sich in Cristins banges Herz, so grausam und übermächtig, dass sie ihn nicht mehr loswerden sollte. Jadwigas Lebenswille war erloschen. Zusammen mit den anderen verließ sie langsam das Gotteshaus und folgte den Trauernden, um sich in den Kreis einzureihen, der sich um den kleinen Friedhof bildete. In respektvollem Abstand verfolgten die Bediensteten des Wawel, wie der kleine Sarg in die Erde gesenkt wurde. Nach einem kurzen Gebet des Priesters reichte Jagiello seiner Frau eine Lilie. Jadwiga beugte sich vor, wollte die Blume in das kleine Grab werfen und sackte zusammen. Kraftlos öffnete sie die Hand und ließ die Blume zu Boden gleiten.
Nur mühsam konnte Cristin einen Aufschrei unterdrücken. Gleichzeitig trug der Wind ein gequältes Seufzen herüber. Hilflos wandte Jagiello den Kopf zu den Trauernden. Was mag in diesem Augenblick seine Gedanken am meisten beherrschen?, fragte sich Cristin. Die Sorge darüber, dass er – der alternde Herrscher – noch immer keinen Thronfolger besaß, oder die Sorge um den zusehenden Verfall seiner Königin? Jagiello, dessen Bestürzung sich in den tiefen Falten seines Gesichtes zeigte, rief etwas aus, was Cristin in dem Tumult nicht verstehen konnte. Schon stürzten die beiden Leibärzte auf die Königin zu, deren Kopf zur Seite gesunkenwar, und beugten
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