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Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Warum ausgerechnet diese Frau, die niemandem jemals etwas zuleide getan hatte? Deren Handeln von Güte und Liebe gegenüber ihrem Volk geprägt war. Ihr Tod war so sinnlos. Cristin hatte das Schloss seit zwei Tagen nicht mehr verlassen, doch sie wusste von Piet, dass nicht nur der Wawel, sondern ganz Polen trauerte.
    »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden«, hörte sie den Priester die bekannten Worte aus dem neunzigsten Psalm zitieren.
    In der langen Zeit, die sie vor einem Jahr auf dem Wawel verbracht hatte, hatte sie so viel von der polnischen Sprache gelernt, um sich einigermaßen verständigen zu können. Auch hatte ihr Piet, der als Gaukler viel herumgekommen war, ein wenig Polnisch beigebracht.
    Während der Priester ein nicht enden wollendes Gebet sprach, spürte Cristin, wie sich eine Träne aus ihren geschlossenen Lidern löste und ihr über die Wange rollte. Sie wischte sie fort, öffnete die Augen und sah sich um. Um sie herum verliehen viele Menschen ihrem Schmerz über das unvermittelte Abscheiden Jadwigas mit lautem Schluchzen Ausdruck, andere – darunter König Jagiello – starrten blicklos vor sich hin. Sie schienen immer noch nicht begreifen zu können, dass ihre geliebte Königin sie für immer verlassen hatte. Eine Bankreihe vor ihr bebten Janeks schmale Schultern, und Jaromirs Frau legte ihren Arm um den weinenden Jungen.
    Schweigend strömte die Trauergemeinde durch die geöffneten Holzflügel des Hauptportals ins Freie. Vorbei an der langen Walfischrippe, dem mächtigen Nashornschädelknochen und dem Schienbein eines weiteren urzeitlichen Tieres. Solange sich diese drei Gegenstände am Ausgang der Basilika befanden, würde diese Kathedrale bestehen, so lautete eine Legende. Heute jedoch hatte niemand Augen für die beeindruckenden Knochenfunde.
    Draußen warteten Dutzende Menschen, die in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Gotteshaus keinen Einlass mehr gefunden hatten. Unter ihnen erkannte sie Marianka und Piet. Die Züge ihres sonst so heiteren Bruders waren ernst, als er sich von seiner Frau löste, auf Cristin zuging und sie in die Arme schloss. Wortlos standen sie da, vereint in Schmerz und Trauer um einen der wertvollsten Menschen, den sie jemals kennengelernt hatten und der ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen war.
    Am Abend, als Elisabeth schlief, saßen Piet, Marianka und Cristin im Gemach der Goldspinnerin, um noch einmal über die traurigen Ereignisse des Tages zu sprechen. Marianka hatte ihrer Schwägerin angeboten, die Nacht im Hause ihrer Eltern zu verbringen, doch sie hatte abgelehnt. Noch immer wie betäubt von der Trauer um Jadwiga, nippten sie nun an den Bechern mit Wein, die Ewa ihnen gebracht hatte.
    »Morgen reisen wir ab«, erklärte Cristin mit einem Blick auf ihren Bruder, der bisher kein Wort gesprochen hatte und ungewohnt abwesend wirkte. »Hast du gehört, Piet? Morgen früh fahre ich mit Elisabeth zurück nach Hamburg.«
    »Entschuldige, Schwester, ich war in Gedanken.«
    Cristin musterte das fein geschnittene Gesicht des Gauklers. Unter seinen Augen, die von innerer Zerrissenheit zeugten, lagen tiefe Schatten. »Da ist noch etwas anderes, das dich beschäftigt, habe ich recht, Piet?«
    »Ist jetzt nicht mehr wichtig, Schwesterchen. Lass es gut sein.«
    Wenn er glaubte, damit wäre der Erklärung Genüge getan, hatte er sich in Cristin getäuscht.
    »Piet, du solltest mich besser kennen. Red schon, oder soll ich dir jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?«
    Sie stand auf, umrundete den kleinen Tisch und nahm sein schmales Gesicht in ihre Hände. Eisern hielt sie seinen Blick fest, bis Piet sich abrupt von ihr losmachte. Sichtlich erregt lief er in der Kammer auf und ab, um schließlich vor ihr stehen zu bleiben.
    »Als du hierherkamst, um Jadwiga Beistand zu leisten, habe ich dir erzählt, ich hätte geträumt, du seist in Gefahr.«
    »Ich erinnere mich, mein Lieber. Eigentlich habe ich dich immer fragen wollen, was genau du gesehen hast.« Cristin schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. »Doch dann kam alles anders, als Jadwiga krank wurde.«
    Er nickte grimmig, während Marianka verständnislos von einem zum anderen sah.
    »Jetzt weiß ich genau, was du gemeint hast, als du sagtest, dass du die Gabe des Heilens als eine Last empfindest, damals, als wir das erste Mal auf dem Wawel waren.«
    »Was willst du mir damit sagen?«
    »In der Vision habe ich die Burg gesehen, Schwester. Der Himmel war nachtschwarz, und da

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