Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
waren diese seltsamen Töne.«
Sie konnte erkennen, wie ihn ein Schauder überlief.
»Es waren die Laute eines Menschen, der Schmerzen leidet, und glaube mir, sie gingen mir durch Mark und Bein.«
Cristin starrte ihn an.
»Nachdem ich dann wusste, dass du auf dem Weg hierher warst, dachte ich erst, du wärst es, die in Gefahr schwebte. Aber das war falsch.«
Sie umklammerte seine Finger. »Du meinst …?«
Piet nickte. »Die Vision sollte mir den Tod von Jadwiga und ihrem Kind …« Seine Stimme brach, war kaum noch vernehmbar.
»Doch ich konnte es nicht deuten. Vielleicht, wenn ich es richtig verstanden hätte, könnte die Königin noch leben.«
»Das ist doch Unsinn!«, rief Marianka energisch aus. »Was geht bloß in deinem Kopf vor? Glaubst du, du hättest das Unglück verhindern können? Komm zur Vernunft, lieber Mann!«
»Marianka hat recht«, erwiderte Cristin sanft, und lehnte die Wange gegen seine Brust. Sie fühlte den schnellen, dumpfen Schlag seines Herzens. »Weißt du noch, was du damals zu mir gesagt hast?«
»Was meinst du?«
Sie löste sich von ihm und blickte in seine traurigen Augen. »Du sagtest, letztlich liege alles in Gottes Hand, hast du das vergessen?«
Piet schüttelte den Kopf, sie konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. »Was nützen uns dann unsere Eingebungen, wenn wir dem Schicksal nicht entgehen können?«
Am Morgen nach Jadwigas Beisetzung verabschiedete sich Cristin von Ewa. Es gab keinen Grund, noch länger auf dem Wawel zu verweilen. König Jagiello hatte ihr zugesichert, sie und Elisabeth bis zur Grenze bringen zu lassen, »als Dank für alles, was Ihr für meine Gemahlin getan habt«, wie er ihr durch einen Diener ausrichten ließ. Später hatte Karol, der Kutscher, der sie aus Hamburg abgeholt hatte, an die Tür ihrer Kammer geklopft. Er werde sie und ihre Tochter mit einer Kalesche bis in die Nähe der Stadt Franckfurde an der Odra fahren, erklärte er. Von dort sei es nicht mehr weit bis Magathaburg.
»Leider erlaubt der König nicht, dass Roman und Mariusz uns begleiten«, erklärte er mit einem bedauernden Achselzucken.
So viel zu seinem Großmut und Dank, setzte Cristin in Gedanken hinzu. Die Erinnerung an das Wolfsrudel, das ihr in den polnischen Wäldern eine schlaflose Nacht bereitet hatte, ließ sie schaudern.
Nun hieß es auch von ihrem Bruder, seiner Frau und deren Familie Abschied nehmen, die sich im Schlosshof eingefunden hatten.
»Grüß mir Baldo«, bat Piet sie, nachdem die Geschwister einander umarmt hatten. »Ich hätte den alten Galgenstrick gern mal wieder gesehen!«
Trotz der Anspielung auf die frühere Beschäftigung Baldos musste Cristin schmunzeln, wusste sie doch, wie sehr ihr Bruder ihren Mann schätzte. Die beiden waren durch all die gemeinsamen Erlebnisse längst zu guten Freunden geworden.
»Ich hoffe, wir sehen uns in nicht allzu langer Zeit in Hamburg wieder«, gab sie zurück. »Ihr alle seid Baldo und mir jederzeit herzlich willkommen.«
20
Hamburg
B aldo hatte sich nach einem arbeitsreichen und heißen Sommertag sorgfältig gewaschen und umgezogen und saß nun am Tisch der behaglich eingerichteten Küche. Die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, starrte er missmutig vor sich hin, als Minna eintrat und ihn kopfschüttelnd musterte. Er hatte die Schüssel mit dem heißen Mus, die sie ihm hingestellt hatte, von sich geschoben. Der Appetit fehlte ihm schon seit Tagen.
»Esst, Herr Schimpf. Davon, dass Ihr hungert, kommen die beiden auch nicht schneller nach Hause.«
»Wie lange ist meine Frau nun schon fort, Minna?«, brummte er und gab sich die Antwort gleich selbst. »Zehn oder elf Wochen. Jetzt haben wir Mitte August. Das Kind müsste doch längst auf der Welt sein.«
»Das wird es auch, Herr Schimpf. Sicherlich ist Eure Frau bereits auf der Rückreise.«
»Wenn ihr nur nichts geschieht. Der Weg ist weit und birgt viele Gefahren.«
Er zog die Schüssel heran und tauchte den Holzlöffel hinein, doch ein kräftiges Klopfen am Fenster der kleinen Küche ließ ihn innehalten. Er wandte den Kopf und erkannte hinter der Scheibe Ludewig Stienbergs breites Gesicht, auf dem ein Grinsen lag. Schnell erhob er sich, um in den Flur zu gehen und dem kräftigen Mann im grauen, knielangen Leibrock die Tür zu öffnen.
»Kommt herein, mein Freund«, forderte er Stienberg auf.
Der Bader war im Haus der Schimpfs ein gern gesehener Gast. Einst hatte er Baldo das Leben gerettet, ihn wieder zurechtgeflickt, nachdem ein Wildschwein ihn
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