Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Zehenspitzenan eines der Fenster. Dahinter bewegte sich jemand. Eine ältere, füllige Person ging durch den Raum und wandte ihr den Rücken zu. Die Frau kam ihr bekannt vor. Jetzt drehte sie sich um und stellte einen Teller auf den großen Stubentisch. War das nicht Minna? Mirke presste die Lippen zusammen. Hatten die beiden die alte Schwatzbase also mit nach Hamburg genommen! Die Goldspinnerei war nicht geschlossen, also musste sich Minna um die Werkstatt kümmern. Und um Cristins Balg.
Mirke schlich weiter zum nächsten Fenster und spähte hindurch. Ihr Blick heftete sich auf die Feuerstelle in der Ecke des kleinen Raumes. Die Flammen leckten an einem Topf, der an einer Kette darüberhing. Eine Idee nahm von ihr Besitz und jagte Wellen der Erregung durch ihren Leib.
33
D as Haus der Familie Schimpf lag in vollkommener Dunkelheit. Nur eine schmale Mondsichel warf mattes Licht auf die Dächer Hamburgs. Minna schlief in ihrer Kammer im ersten Stock des Hauses. Da drang ein hässliches kratzendes Geräusch durch die Nebel ihrer Träume in ihr Bewusstsein, und sie schlug die Augen auf. Erst vor drei Stunden hatte sie sich hingelegt, nachdem sie zwei Becher Met geleert und ihr der schwere Honigwein zur nötigen Bettschwere verholfen hatte.
Benommen starrte sie ins Halbdunkel, verharrte regungslos und lauschte. Da war es wieder, dieses eigenartige Geräusch, in das sich nun ein zweites mischte. Einen Moment lang war nichts zu hören, dann drang leises Winseln an ihre Ohren. Lump, du Gauner, dachte sie, ich weiß genau, was du willst, aber dein Schlafplatz ist unten. Sie drehte sich zur Wand, schloss die Augen und sank zurück in einen unruhigen Schlaf. Nur, um gleich darauf hochzuschrecken, denn der Hund kratzte nun an ihrer Tür, begleitet von lautem Gebell, das in ein lang gezogenes Fiepen überging.
»Also gut, du hast gewonnen«, murmelte die Lohnarbeiterin und warf die Decke zurück. »Ich lass dich bei mir schlafen.« Sie schwang die Beine aus dem Bett, lief zur Tür und riss sie auf, als von unten aufgeregte Männerstimmen an ihre Ohren drangen.
Der Hund sprang an ihr hoch und winselte. Da sah sie es: Dichter weißer Rauch quoll die Treppe herauf und kroch über den Flur. Schon hüllte er ihre nackten Füße ein. Stieg höher, wurde dichter und dichter. Sie konnte kaum die Hand vor Augen erkennen. Ihr Puls begann zu rasen, als sie begriff. Minna stieß einen derben Fluch aus.
»Guter Junge«, wisperte sie dann, ohne den Hund anzusehen, und tätschelte ihn flüchtig. Die Knie wurden ihr weich, als sie nach unten blickte. Das Erdgeschoss stand in Flammen, sie schlugen bereits hoch bis zu den Deckenbalken. Schon leckten erste Feuerzungen an dem schmalen Treppengeländer. Die Holzbalken knisterten und knackten bedrohlich. Heilige Jungfrau Maria – das Kind! Mit wenigen Schritten war sie an der Tür am Ende des kurzen Flurs, hinter der Elisabeth schlief. Sie drückte die Klinke herunter und eilte an das Bett.
»Elisabeth, wach auf!«
Mit beiden Händen fasste sie nach dem Hemd der Kleinen und zerrte daran. Das Mädchen schlug die Lider auf, und im Dämmerlicht konnte Minna seine Verwirrtheit erkennen.
»Das Haus brennt, Mädel! Wir müssen hier raus!«
Minna hustete, außerdem nahm ihr der Qualm, der nun auch die Kammer erfüllte, die Sicht. Ihre Augen brannten.
Die Kleine richtete sich auf, blickte Minna aus vor Schreck geweiteten Augen an. Diese zog eine Schublade auf, riss ein Tuch heraus und presste es auf Nase und Mund. Sie griff nach Elisabeths Hand und zog das nun ebenso hustende Kind mit sich in den Flur.
Inzwischen hatte das Feuer das gesamte Treppengeländer erobert, und einzelne Flammen züngelten an den Stufen empor. »Komm!«, schrie Minna dem Mädchen zu und zerrte es die heißen Treppenstufen hinunter, dem unteren Flur entgegen, wo alles lichterloh brannte. Einen Augenblick lang zögerte sie und starrte tränenblind auf das schreckliche Bild, das sich ihr bot, dann lief sie mit einem Stoßgebet auf den Lippen weiter bis zur Haustür. Auch daran leckten mannshoch goldgelbe Flammen.
Ein jäher, stechender Schmerz ließ Minna aufstöhnen. Sie sprang hoch und sah, wie ein rot glühendes Stück Holz von ihrem Fuß fiel und auf der Treppenstufe liegen blieb. Neben sich hörte sie Elisabeths schrille Rufe nach der Mutter. Mit aller Kraft warf Minna sich gegen die brennende Tür, stürmte mit dem Kind ins Freie und wäre beinahe in einen Mann hineingerannt, der mit einem ledernen Wasserschlauch
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