Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
über den Schultern vor dem Eingang des Hauses stand.
»Ist da noch jemand drin?«, brüllte er gegen das Knacken des Holzes und das Prasseln des Feuers an.
Sie entdeckte Lump neben sich und schüttelte den Kopf, stumm von dem pochenden Schmerz in ihrem Fuß.
»Dann geht zur Seite!«
Er öffnete den prall gefüllten Schlauch und füllte den Inhalt in einen großen Ledereimer. Inzwischen waren immer mehr Männer aus der Nachbarschaft mit Wassereimern und -schläuchen herbeigeeilt und versuchten das brennende Haus zu retten. Minna zog sich mit Lump und Elisabeth in sichere Entfernung zurück, drückte das bebende Kind an sich und sah dem verzweifelten Treiben zu.
»Heiliger Florian, hilf!«, betete sie. Dabei ließ sie keinen Moment lang die Hand der Kleinen los. Erschöpft sank Minna auf das Pflaster, keuchte und streckte ihre schmerzenden Beine aus. Elisabeths Husten wollte nicht enden, doch dann setzte sie sich neben ihre Kinderfrau, umklammerte deren Beine und weinte.
»Tut dir etwas weh, mein Schatz?« Minnas Stimme glich mehr dem Krächzen einer Dohle als der eines menschlichen Wesens.
Sie beugte sich über das Mädchen und betrachtete es im flackernden Schein der Flammen. Ein Ärmel seines langen Nachtkleides war angesengt. Am rechten Unterarm bemerkte Minna eine Rötung von der Größe eines Guldens. Die Haut darüber war leicht angeschwollen, doch sonst schien die Kleine unverletzt zu sein. Elisabeth steckte sich einen schmutzigen Finger in den Mund, verzog das Gesicht und nahm ihn wieder heraus.
»Minna«, stammelte sie und wies mit ihrem Finger auf eine feuerrote Stelle auf dem Fußrücken der älteren Frau. »Hast du da ein Aua?« Schon streckte sie die Hand danach aus.
Die Lohnarbeiterin zuckte zusammen, als Elisabeth mit ihren Fingern über die Verletzung strich.
»Ja, Schatz«, brachte sie mühsam hervor. »Das tut weh. Bitte nicht anfassen.«
Ernst ruhten die blauen Augen der Zweijährigen einen Moment auf ihr, dann nickte sie und schmiegte sich in Minnas Arm. Gemeinsam starrten sie, Lump an ihrer Seite, wortlos auf das Dach des Hauses, von dem inzwischen meterhohe Flammen in den nächtlichen Himmel emporschlugen. Jeden Augenblick konnten sie auf das der Goldspinnerei gegenüberstehende Gebäude überspringen, dessen oberstes Stockwerk weit in die Gasse hineinragte und direkt an das Haus der Schimpfs grenzte.
Das hatten längst auch die Männer erkannt, die ihre Anstrengungen nun nicht allein der Spinnerei, sondern auch den Häusern in unmittelbarer Nachbarschaft widmeten. Bald schon trafen weitere Helfer ein. Im Schein der Flammen konnte Minna einige Männer ausmachen. Es waren Dachdecker, Schmiede und andere Handwerker samt ihrer Gesellen. Einen Wassereimer nach dem anderen schütteten sie gegen die Mauern.
Mirke Pöhlmann hockte gut verborgen hinter einer Hecke, die die Grundstücke voneinander trennte, und blickte zu dem vielleicht dreißig Klafter entfernten brennenden Haus hinüber. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Im Schutz der Dunkelheit und einer wachsenden Schar von Neugierigen beobachtete sie, wie etwa zwei Dutzend Männer das Feuer zu löschen versuchten, das zuerst auf ein an die Werkstatt grenzendes Holzhaus und dann auf das Wohnhaus der Schimpfs übergesprungen war. Nun bedrohten die Flammen auch die beiden Gebäude gleich daneben.
Die Rufe der Männer vermischten sich mit dem Knistern und Knacken des brennenden Holzes. Sie laufen herum wie Hühner, in deren Stall der Fuchs eingebrochen ist, dachte sie und kicherte in ihren Umhang. Welch köstliche Vorstellung! Seit Langem schon hatte sie nicht so viel Kurzweil empfunden wie in diesem Augenblick. Mirke spürte weder die Feuchtigkeit, die ihre Kleidung benetzte, noch die rauchgeschwängerte Luft, die mit jedem Windzug zu ihr herübergetragen wurde. In ihr war Frieden, das erste Mal seit langer Zeit. Tief sog sie den Brandgeruch ein, bis sie husten musste.
Sie wollte sich schon abwenden, da nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung an der Tür des brennenden Hauses wahr. Es war Minna, die ins Freie stürmte, an der Hand ein kleines Mädchen, und dabei fast mit einem Mann zusammengestoßen wäre, der einen prall gefüllten Wasserschlauch über der Schulter trug. Diese dämliche Vettel! Mirke hatte sie noch nie leiden können, aufgespielt hatte die sich immer, als wäre sie die Herrin selbst gewesen.
Nun schien Minna allerdings jeden Hochmut verloren zu haben. Mit strähnigen, aufgelösten Haaren, den fülligen
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